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„Kairo: Alltag und Ausnahmezustand“ – Matthias Fabian im Interview

Matthias Fabian ist Buchautor von „Kairo: Alltag und Ausnahmezustand“. Von Anfang 2013 – 2014 verbrachte er ein Jahr in Ägypten. Im Interview erzählt er uns von seinem Aufenthalt und über Konflikte und Probleme des Landes. Er berichtet über ganz alltägliche Dinge und gibt uns Tipps für die nächste Reise nach Ägypten.

Hallo Matthias, du lebst in Lüneburg, bist Jahrgang 1984 und hast Umweltwissenschaften studiert. Wie bist Du darauf gekommen, ein Jahr in Ägypten zu verbringen?

Ich habe während meines Studiums kein Auslandssemester absolviert und habe im letzten Jahr die Gelegenheit ergriffen, dies nach meinem Abschluss „nachzuholen“. Da ich schon seit über 10 Jahren regelmäßig nach Ägypten reise, war für mich der Ort des Auslandsaufenthalts von vorn herein klar: Es sollte Kairo sein, da ich dort einen Arabisch-Sprachkurs absolvieren wollte. Die Sprache ist schließlich der Schlüssel zu einem Land und ich wollte Ägypten und seine Menschen noch besser kennen- und verstehen lernen.

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Wie hat dein Umfeld auf deine Entscheidung reagiert, in dieser politisch hochbrisanten Zeit nach Ägypten zu fliegen?

Meine Familie und Freunde waren schon etwas besorgt angesichts der politischen Turbulenzen. Der gesellschaftliche Konflikt zwischen den Anhängern und Gegnern des ehemaligen Präsidenten Mursi war ja bereits voll ausgebrochen und es war unklar, wie es damit weitergehen würde. Familie und Freunde haben mich bei meinen Planungen aber immer unterstützt – in dem Wissen, dass ich mich in Ägypten sehr gut auskenne und viele Freunde habe. Ich musste aber meiner Oma versprechen, keine „Dummheiten“ zu machen. 😉 Am Ende waren alle erleichtert, dass ich unversehrt und in einem Stück zurück war.

In deinem Buch beschreibst du viele brenzlige Situation: Straßenschlachten, Tränengas, Schreie und Schüsse in der Nacht. Gab es eine besonders beängstigende Situation, in der du gedacht hast: Jetzt ist alles vorbei?

Es gab einige Situationen, die sich gefährlich hätten entwickeln können. Richtig brenzlig war es für mich selbst zum Glück nie. Ich habe immer darauf geachtet, keine unnötigen Risiken einzugehen. Trotzdem, ein gewisses Risiko besteht natürlich, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein: Als in diesem Mai (2014) in Ramsis nahe des Hauptbahnhofs von Kairo ein Auto mit Sprengstoff explodierte, war ich fünf Minuten zuvor genau an dieser Stelle einkaufen. Von dem Schreck musste ich mich dann erstmal erholen! Man darf sich Kairo aber nicht wie eine Stadt im Bürgerkrieg vorstellen, der Alltag geht im Großen und Ganzen seinen gewohnten Gang.

Generationskonflikte scheinen mittlerweile zum Alltag unter den Ägyptern zu gehören. In einer Szene, die mir besonders im Gedächtnis geblieben ist, präsentiert dir deine ägyptische Bekannte ihre selbst gemalten Bilder mit splitternackten Männern und intimen Momenten zwischen Mann und Frau. Ihre religiöse Mutter würde die Bilder jedoch alle am liebsten von der Wand reißen. Wächst in Ägypten eine neue Generation heran?

Ein sehr großer Teil der ägyptischen Bevölkerung ist unter Dreißig und gerade in den Städten über das Internet mit der Welt verbunden. Gesellschaftliche Werte und Vorstellungen verändern sich. Besonders Jugendliche aus finanziell besser gestellten Familien orientieren sich an westlichen Vorbildern. Allein einen Generationenkonflikt zu sehen, reicht meiner Beobachtung nach allerdings zu kurz. Es gibt Unterschiede zwischen arm und reich, Stadt und Land, auch quer durch Familien. In allen Altersgruppen gibt es sehr konservative, religiöse Menschen und eben solche, die das gesamte ägyptische Werte-Set kräftig durcheinander schütteln. Es ist sehr spannend, diese Veränderungen zu beobachten.

Dein Aufenthalt in Ägypten endete Anfang dieses Jahres. Schon damals stand fest, dass Al-Sisi der neue „Pharao“ auf Ägyptens Thron werden wird. Doch verstehen tun dies viele nicht. Ist der neue Al-Sisi nicht der alte Mubarak? Warum glaubst du, haben sich so viele Ägypter nach ihrer Revolution wieder auf die Seite des Militärs geschlagen?

Al-Sisi war schon seit dem Sturz von Mohamed Mursi der neue, starke Mann am Nil. Es bestanden bei keinem meiner vielen Gesprächspartner Zweifel daran, dass er der nächste Präsident werden würde. Über die Frage, ob das alte Mubarak-Regime mit neuem Gesicht zurück ist, darüber gibt es sehr unterschiedliche Ansichten. Es ist deutlich zu beobachten, dass die Sicherheitskräfte wieder ihre alten Methoden anwenden und unliebsame Oppositionelle zum Schweigen gebracht werden sollen. Viele junge Aktivisten der Revolution sitzen hinter Gittern, Journalisten stehen unter Druck, Kritik an Al-Sisi oder der Armee ist derzeit nicht ungefährlich. Die Moslembrüder werden als „Terroristen“ nochmals drastischer verfolgt. Dennoch gibt es einen wichtigen Unterschied zu Mubaraks Zeiten: Die Erfahrungen der letzten drei Jahre sind aus den Köpfen nicht mehr zu entfernen! Nicht zuletzt ist Al-Sisi im Gegensatz zu Mubarak von einer großen Mehrheit gewählt worden. Diese Menschen hoffen auf Sicherheit, Stabilität und wirtschaftliche Verbesserungen. Dafür nehmen sie das Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen Oppositionelle in Kauf. Der neue Präsident muss jetzt liefern und darf die Hoffnungen nicht enttäuschen. Sonst könnte sich die Stimmung wieder zu seinen Ungunsten drehen.

Glaubst du, mit Al-Sisi bekommt Ägypten wieder die Stabilität zurück, die sich die Menschen dort wünschen?

Wenn der Präsident die Sicherheits- und Wirtschaftslage verbessern kann, dann könnte sich die Lage mittelfristig wieder beruhigen. Der ungelöste gesellschaftliche Konflikt zwischen dem religiös-konservativen, islamistischen Bevölkerungsteil auf der einen Seite und dem oft als der Armee nahe stehend, nationalistisch und säkular beschriebenen Bevölkerungsteil auf der anderen Seite wird aber weiter schwelen. Auch die derzeit sehr kleine Gruppe der liebaralen und revolutionären Aktivisten wird ein Wörtchen mitzusprechen haben. Solange es nicht zu einer gesellschaftlichen Verständigung kommt, wird es langfristig meiner Meinung nach immer wieder unruhige Phasen geben.

Vor zwei Wochen wurden die Todesurteile von fast 200 Muslimbrüdern bestätigt. Du hast während deines Aufenthaltes mit vielen Ägyptern gesprochen. Woher, glaubst du, kommt der Hass gegen die Muslimbrüder? Wird es jemals eine Chance auf Dialog geben?

Weder die Moslembrüder, noch die der Armee nahe stehenden Politiker fallen durch besonders demokratische Ansichten und Respekt vor den Grund- und Menschenrechten auf. Das passt durchaus zu den Ansichten vieler Ägypter, die Menschenrechte nur dann gut finden, wenn sie ihnen selbst nützen. Unter Mursi fühlten viele Menschen einen Druck, nicht religiös genug zu sein, sich zu westlich zu kleiden o.ä. Gerade Frauen wurden schräg angesehen, wenn sie nicht verschleiert waren oder in Jeans herumliefen. Jetzt ist die Lage andersherum, Männer mit Bart oder verschleierte Frauen werden nicht gern gesehen, teils bepöbelt. Ich kenne viele Ägypter, die das völlig richtig finden. Ganz nach dem Motto: Wir oder die? Dann lieber wir! Sie führen einen Kulturkampf und beide Seiten zeigen nicht viel Toleranz gegenüber der anderen. Wir können uns das nur begrenzt vorstellen, es geht dort auf beiden Seiten um die ganz persönliche Existenz und die Frage, ein Leben entsprechend der eigenen Vorstellungen führen zu können. Nur: die gesellschaftlichen Vorstellungen erscheinen schlicht unvereinbar. Der derzeitige Versuch, mit eiserner Faust die islamistische Strömung zum Schweigen zu bringen, wird in dieser Gemengelage von vielen begrüßt. Ohne Dialog wird es aber langfristig keine akzeptable Lösung geben, wie es auch in Ägypten einige Stimmen verkünden. In der aufgeheizten Stimmung wollen das aber viele derzeit (noch?) nicht hören.

Ägyptens historische Stätten werden immer wieder Opfer von Plünderungen und Vandalen. Doch anstatt mehr Geld in die Sicherheit zu stecken, hat das Antikenministerium mit Budgetkürzungen zu kämpfen. Warum wird kein Personal und Geld in die Sicherheit der antiken Stätten gesteckt?

Das Antikenministerium hat schwer mit den geringen Touristenzahlen zu kämpfen, da dadurch die Einnahmen weggebrochen sind. Es gibt ja derzeit kaum Touristen am Nil, die wenigen verbliebenen sind am Roten Meer und besuchen kaum antike Stätten. Die finanziellen Spielräume des Ministeriums sind folglich sehr begrenzt. Der Schutz der Monumente vor Plünderungen und Zerstörungen ist aber letztlich nicht nur Aufgabe des Antikenministeriums. Wenn ein Ghafir die Polizei ruft, dann muss sie auch kommen – Plünderer sind oft schwer bewaffnet. Das Innenministerium ist also gefragt und muss schnell auf Plünderungsmeldungen reagieren. Genau das ist zur Zeit oft das Problem. Das Problem der Plünderungen und der Landnahme wird sich aber ohne die Mithilfe der Menschen, die an den archäologischen Stätten leben, nicht lösen lassen.

Ist das Thema der Bewahrung von Ägyptens Kultur überhaupt wichtig für die Menschen?

In der Vergangenheit haben viele die antiken Monumente als Eigentum der Regierung und nicht der Menschen aufgefasst. Das wandelt sich gerade langsam. Es gibt mehr und mehr Menschen, die sich für den Erhalt der historischen Kulturgüter einsetzen. Auf Facebook gibt es beispielsweise sehr aktive Gruppen wie „Egypt’s Heritage Taskforce“ und lokale Initiativen wie „Save Cairo“, „Save Mansoura“ oder „Save Minia“. Es ist noch viel Aufklärungsarbeit nötig, um in der breiten Bevölkerung ein entsprechendes Bewusstsein zu verankern. Grundsätzlich hilft es, wenn Anwohner eingebunden werden und von den antiken Stätten in der Nachbarschaft direkt profitieren, z.B. durch Tourismus.

In deinem Kapitel „Ganz schön gerissen“ erzählst du uns kleine Geschichten über die sprichwörtliche Schlitzohrigkeit der Ägypter. Etwas, das wir Westeuropäer ja in der Regel so gar nicht können, ist das Feilschen. Hast du einen Tipp für uns, wie man in Ägypten am besten feilschen kann?

Es überrascht vielleicht, aber für viele Dinge des täglichen Bedarfs gibt es am Kiosk oder in den Geschäften quasi Fixpreise. Die kennt man am Besten, z.B. indem man sich im Ägyptenreiseforum in der Preisliste oder im Hotel informiert. Anders ist es bei extra für Touristen gefertigten Souvenirs, bei denen die Händler oft Phantasiepreise nennen. Das kann das Doppelte, manchmal das Zehnfache des „normalen“ Preises sein. Man sollte möglichst vorher eine ungefähre Preisspanne wissen, die ok ist. Dann hilft es nur, darauf los zu handeln. Mein Tipp: Immer über Ägyptische Pfund sprechen, nie über Preise in Euro. Den Verkäufer respektvoll behandeln, aber in der Sache bestimmt sein. Je unsicherer man auftritt, desto schwieriger ist es, einen niedrigen Preis zu erreichen. Das Handeln dauert etwas Zeit, man sollte also nichts überstürzen. Weiß man den Preis des Objektes nicht, dann sollte man möglichst spät eigene Preisvorstellungen nennen und erst einmal den Verkäufer ein Angebot (oder zwei) vorlegen lassen. Manchmal hilft es auch nur, das letzte Angebot dankend abzulehnen und zu gehen. Nicht selten kommt es dann vor, dass der Verkäufer hinterher gelaufen kommt und sein Angebot nochmal nachbessert. Man sollte aber immer fair bleiben, auch der Verkäufer muss von seiner Arbeit leben können. Wenn der Preis am Ende dennoch etwas zu hoch war, dann sollte man sich nicht zu sehr ärgern: Übung macht den Meister, jeder zahlt anfangs Lehrgeld.

Du hast Ägypten schon viele, viele Male besucht. Hast du einen persönliches Lieblingsort, wo es dich immer wieder hinzieht?

Als Fan antiker Stätten reise ich überall dort hin, wo es pharaonische Pyramiden, Tempel und Gräber zu entdecken gibt. Mein Lieblingsort in dieser Hinsicht ist der Sethos-Tempel in Abydos. Aber auch die Einsamkeit der Wüste und die Ruhe der Oasen beeindrucken mich zu tiefst. Wenn ich es einrichten kann, mache ich einen Abstecher in die malerische Oase Siwa. Meist zieht es mich jedoch nach Kairo, wo ich viele Freunde habe. Ich liebe den bunten Trubel und das Gedränge der quirligen Metropole – die Faszination in Worte zu fassen, empfinde ich allerdings als ungeheuer schwierig.

Du bist jetzt seit 6 Monaten wieder in Deutschland. Gibt es etwas, was du besonders vermisst?
Und was aus Deutschland hast Du während Deines Aufenthalts in Ägypten vermisst?

Ich vermisse das gute Wetter, das Essen – Koshari, Sandwiches mit Fuul und Falafel – und die ägyptische Mentalität. Trotz allem Ärger zwischendurch fühle ich mich in Kairo sehr wohl, genieße den etwas langsameren Alltag. Hier in Deutschland sind viele Menschen oft sehr gestresst und in Eile, da bleibt viel auf der Strecke. Ganz besonders vermisse ich natürlich meine ägyptischen Freunde – und meine deutschen, wenn ich gerade in Ägypten bin. Während der Zeit in Kairo habe ich vor allem vermisst, dass manche Dinge hier in Deutschland wesentlich einfacher und schneller geregelt sind. Sei es die Reparatur der kaputten Waschmaschine oder Absprachen im Freundeskreis. Die so gänzlich andere Herangehensweise der Ägypter an die großen und kleinen Dinge des Alltags ist auf Dauer schon eine Herausforderung.

Viele haben durch die negative Berichterstattung in Europa Angst, nach Ägypten zu fliegen. Was würdest du sagen: Ist Ägypten sicher?

Grundsätzlich sollte man sich an den Sicherheitshinweisen des Auswärtigen Amtes orientieren. Eine Entscheidung muss jeder für sich selbst treffen, dies kann niemand abnehmen. Meiner Erfahrung nach ist ein Urlaub an der Küste des Roten Meeres von Hurghada über Safaga bis hinunter in den Süden völlig unproblematisch. Auch bei einer Reise nach Luxor und Assuan oder bei einer Nilkreuzfahrt hätte ich keine Bedenken. Die Menschen warten verzweifelt auf Touristen.
In Kairo ist die Lage derzeit auch wieder ruhig, größere Demonstrationen sind erst einmal nicht zu erwarten. Allerdings explodieren immer wieder kleinere Bomben an Einrichtungen der Sicherheitskräfte. Wer seine erste Reise nach Kairo plant, sollte damit vielleicht noch etwas warten. Auf gar keinen Fall sollte man im Moment in Kairo mit der Fotokamera herumlaufen und fotografieren – es gab leider einige unschöne Erfahrungen, weil westliche Urlauber für Spione gehalten wurden.
Von Reisen nach Mittelägypten, d.h. insbesondere nach Minia und Assiut, möchte ich dringend abraten. Die Lage dort ist schwer überschaubar. Last but not least: An der Sicherheit der Baderessorts auf dem Sinai scheiden sich die Geister, gerade nach dem Anschlag auf einen Touristenbus in Taba und aufgrund der geringen Entfernung zum hochexplosiven Nordsinai. Ich warte mit einer Reise dorthin vorerst noch etwas ab – sicher ist sicher.

Das Buch „Kairo: Alltag und Ausnahmezustand“ ist im Tredition Verlag (ISBN: 3849577902) erschienen.
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