Dass Archäologie sowohl anstrengend als auch abenteuerlich sein kann, musste Anne Austin im Jahr 2012 am eigenen Leib erfahren. Für ihre Forschungen musste sie zu unwegsamen Gräbern im Arbeiterdorf Deir el-Medinah in Theben-West klettern. Dort erwarteten sie Schwärme von Ratten und Fledermäusen und anstelle von Mumien, fand sie oft nur noch die Knochenreste der Arbeiter vor, die einst an den Gräbern der Pharaonen arbeiteten. Doch zumindest dies kam der Osteo-Archäologie (das Studium von antiken Knochen) positiv entgegen, denn die Arbeit an den Knochen erleichterte Austin ihre Forschungen. Wie lebten die Arbeiter in Deir el-Medinah? Wie gut war ihre Gesundheit und wie wurden sie versorgt? Die Antworten ihrer Fragen geben uns ein umfassendes Bild über Gesundheitsvorsorge und gesellschaftlichen Umgang im Arbeiterdorf wieder.
Dass die Arbeiter in Deir el-Medinah gut versorgt wurden, konnte schon in den letzten Jahrzehnten anhand von dort gefundenen antiken Dokumenten ermittelt werden. Doch Austin leitete die erste intensive Studie über die menschlichen Überreste in dem antiken Arbeiterdorf.
Krankengeld und kostenloser Gesundheitscheck
Für ihre Arbeit verglich Austin die Dokumente mit ihren eigenen Studien. In den menschlichen Überresten und den Dokumenten fand sie Hinweise auf eine staatlich subventionierte Gesundheitsvorsorgung – die älteste dokumentierte Gesundheitsvorsorge der Menschheitsgeschichte. Die Arbeiter besaßen einige Privilegien, die ähnlich denen von heutigen Angestellten ist. Sie konnten einen bezahlten Krankheitstag nehmen und eine „Klinik“ für einen kostenlosen Gesundheitscheck aufsuchen.
Das klingt in der Praxis gut, doch obwohl die Arbeiter Krankengeld erhielten, machten einige nicht davon gebrauch, wie die Untersuchungen an den Knochen ergaben. Bei einem Arbeiter fand Austin Hinweise auf Osteomyelitis, eine infektiöse Entzündung des Knochemarks. Unbeachtet davon, dass die Krankheit in seinem Körper wütete, arbeitete der Mann weiter. Vielleicht arbeiteten einige trotz Krankheit weiter, um ihre Pflicht an den Staat erfüllen, dem sie so viel zu verdanken hatten, so Austins Vermutung.
Überdurchschnittlich hohe Anzahl an Arthritis
Zumindest wäre dies neben der guten Versorgung eine weitere Erklärung, warum die Arbeiter trotz strapaziöser Bedinungen für den Pharao Dienst leisteten. Wer je von Deir el Medinah über die Berge zum Tal der Könige gegangen ist, weiß wie hart der Weg dorthin ist, der von den Arbeitern jeden Tag zweimal gegangen werden musste. Das zeigt sich auch in den Knochen. In Vergleich zu Mumien aus anderen Begräbnisstätten, fand Austin bei den Arbeitern eine überdurchschnittlich hohe Anzahl an Arthritis in den Knien und Knöcheln.
Sozialer Zusammenhalt
Doch die medizinische Betreuung war gut und der Zusammenhalt der Menschen ebenfalls. Bei einem Mann, der zwischen 19 und 20 Jahre starb, fehlte das rechte Bein, vermutlich durch Polio oder einer anderen neuromuskulären Störung. Doch auch für ihn fanden die Bewohner von Deir el-Medinah eine zu ihm passende Funktion in ihrer Gesellschaft. Zumindest fanden sich keine Hinweise auf weitere gesundheitliche Einschränkungen oder auf ein hartes Leben.
Es existierte also eine eingeschworene Gemeinschaft mit zwei Gesundheitsvorsorgen. Einmal die staatliche, damit die gut ausgebildeten Arbeiter dem Pharao ein Grab bauen konnten und einmal ein Netzwerk aus Familien und Freunden, die vielleicht auch aus Angst vor öffentlicher Bloßstellung so agierten. In einem kleinen Dorf wird viel geredet, wie man weiß, und eine Scheidung wegen Vernachlässigung oder der Ausschluss aus einem Testament wären sicher Grund dafür gewesen, dass Menschen mit dem Finger auf einem zeigten. So war der gesellschaftliche Druck groß und Austin liegt das Dokument einer empörten Mutter von acht Kindern vor, von denen vier sich im Alter nicht um sie kümmerten und dann auch prompt von ihr enterbt wurden.
Weitere Forschungen geplant
Im März nächsten Jahres will Austin zusammen mit Salima Ikram von der Universität Kairo erneut nach Deir el-Medinah reisen, um wieder unwegsames Gelände zu erklimmen und Schwärme von Fledermäusen und Ratten zu überwinden. Aber das alles macht Austin nichts aus, denn sie hofft dieses Mal mehr spezifische Krankheiten zu finden, an denen die Menschen vor 3500 Jahren gelitten haben.
Quelle: Stanford News