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Neue Chronologie fürs Alte Reich. Teil 1: Siriusstern und Mondkalender

Wissenschaftler aus der Schweiz und Deutschland haben sich mit der Frage befasst, wie man ausrechnen kann, wann ein astronomisches Ereignis, das in Texten des Alten Reiches festgehalten ist und somit vor 4000-5000 Jahren geschah, nach unserer heutigen Zeitrechnung genau passiert ist. Wenn das gelänge, könnte man einige Daten der Herrscher des Alten Reiches vielleicht genauer bestimmen, als das bisher möglich war. Um die Ergebnisse dieser Forschungsarbeit zu verstehen, muss man zunächst die unterschiedlichen Kalender und Zählweisen verstehen, die das Alte Reich prägten und die teils deutlich von unserer heutigen Zeitrechnung abweichen. Das ist das Ziel dieses ersten Teils unseres Berichts. Die Forschungsergebnisse selbst, die in einer neuen Chronologie für einen Großteil des Alten Reichs münden, beschreiben wir dann in Teil 2.

Methoden zur Ermittlung einer Chronologie

Um eine Chronologie des Alten Ägypten zu erstellen, kann man sich verschiedener Methoden bedienen. Es gibt eine Reihe von Königslisten, die z.T. von den Pharaonen selbst (z.B. Thutmosis III, Sethos I oder Ramses II) und z.T. auch von späteren Geschichtsschreibern (Manetho, Herodot) angefertigt wurden. Auf ihnen ist die Abfolge der Pharaonen festgehalten und manchmal auch die Dauer ihrer Regierungszeit. Das Problem mit diesen Listen ist: Sie unterscheiden sich voneinander und unliebsame Könige, wie Fremdherrscher oder – genau so schlimm – Frauen (z.B. Hatschepsut), wurden darin einfach übergangen. Der Auftraggeber der Liste entschied also, wen er „in den Geschichtsbüchern“ haben wollte und wen nicht. Man kann diesen Königslisten daher nicht blind vertrauen.

Weitere Methoden, die helfen können, eine Zeitbestimmung entfernter Ereignisse zu erstellen, sind astronomische Phänomene, die über die Jahrtausende hinweg immer gleich blieben: Ein Mondumlauf war schon immer 29,5 Tage lang und einen heliakischen Aufgang des Siriussterns gab es jedes Jahr zur gleichen Zeit. Mit heliakisch (= zur aufsteigenden Sonne gehörend) ist die erste Sichtbarkeit des Sterns am Morgenhimmel gemeint, nachdem er dort längere Zeit nicht zu sehen war. Mit solchen Mond- und Siriusdaten kann man gesichert zurückrechnen, wenn man sie erstens mit dem damals gültigen und zweitens mit dem heute gültigen Kalender abgleichen kann.

Schließlich ist in neuerer Zeit auch noch die Radiocarbonmethode hinzugekommen, mit der kohlenstoffhaltige Stoffe (und damit alles, was einmal gelebt hat) datiert werden können. Die Ergebnisse dieser Untersuchungsmethode werden zwar immer genauer, aber momentan lassen sie noch immer ein Zeitfenster offen und können kein absolutes Jahr angeben.

Der altägyptische Kalender

Der alljährliche Aufgang des Sirius-Sterns (griech: Sothis, altäg.: spdt, Sopdet) war für die alten Ägypter ein wichtiges Datum. Mit ihm begann nämlich auch die so überaus wichtige Nilflut. Als die Ägypter – vermutlich Anfang des dritten Jahrtausends vor unserer Zeitrechnung – einen neuen Kalender einführten, legten sie den Jahresanfang daher auf dieses astronomische Ereignis. Mit dem Aufgang des Siriussterns und der beginnenden Nilflut sollte stets das neue Jahr beginnen.

Schaubild des altägyptischen Kalenders. Copyright: Rita Gautschy

Der daraus resultierende Kalender war dem unseren eigentlich ziemlich ähnlich. Allerdings gab es in Ägypten nur drei Jahreszeiten: Achet (Überschwemmung), Peret (Aussaat) und Schemu (Ernte). Jede dieser Jahreszeiten umfasste 4 Monate und jeder Monat hatte genau 30 Tage. Dazu fügte man am Jahresende 5 Extratage ein, die jeweils einem Gott gewidmet waren, weil schon die alten Ägypter wussten, dass ein Jahr nicht 360 sondern 365 Tage hatte. Leider kannten sie keine Schaltjahre, und so rutschte der Jahresbeginn dieses Verwaltungskalenders oder „bürgerlichen Kalenders“ jedes Jahr einen Vierteltag nach vorne gegenüber dem „astronomischen Kalender“. Gegen Ende des Alten Reiches ging der Siriusstern (und mit ihm die Nilflut) erst im Peret (Zeit der Aussaat) auf, zu Beginn des Neuen Reiches gar erst im Schemu (Zeit der Ernte). Erst in der Ära der Ramessiden fiel die Nilflut dann wieder mit dem Achet, also der Jahreszeit der Überschwemmung, zusammen.

Und noch ein Kalender

Vor der Einführung dieses Verwaltungskalenders hatte man sich eher an den Mondphasen orientiert. Ein neuer Monat begann, wenn keine Mondsichel am Morgenhimmel mehr zu sehen war. Und dieser alte Kalender wurde auch nach Einführung des neuen Kalenders parallel einfach weitergeführt. Und da man sich mit diesem Mondkalender ja nach den Gestirnen richtete, wurde natürlich auch weiterhin der Aufgang des Siriussterns als Anfang eines neuen Jahres gesehen, unabhängig davon, wo der Jahresanfang nach dem offiziellen Verwaltungskalender gerade war.
Das Problem des Mondkalenders war natürlich, dass ein Mondumlauf nur ca. 29,5 Tage dauert. Nach 12 Mondmonaten fehlten also noch etwa 10-12 Tage, bis mit dem Aufgang des Siriussterns ein neues astronomisches Jahr begann. Die alten Ägypter behalfen sich, indem sie immer dann, wenn es nötig war, einen Schaltmonat einfügten. Und nötig war das meist nach drei Jahren, manchmal aber auch schon nach zwei Jahren. Etwa alle drei Jahre also bestand das Jahr nach dem Mondkalender aus 13 Monaten, in den übrigen aus 12 Monaten.

Das Wagy-Fest: Ein Totenfest für Osiris

Das Wagyfest wurde zu Ehren des Gottes Osiris immer am 18. Tag eines neuen Jahres gefeiert, ursprünglich also 18 Tage nach dem Aufgang des Siriussterns. Bei Einführung des Verwaltungskalenders war das demnach der 18. Tag des 1. Monats der Jahreszeit Achet. Aber da das Kalenderjahr ja keine Schalttage kannte, rutschte der kalendarische Jahresanfang immer weiter vom Siriusaufgang weg. So wurde das Wagyfest von denen, die sich nach dem offiziellen Verwaltungskalender richteten, am 18. Tag nach Neujahrsbeginn gefeiert, aber von denen, die sich nach dem Mondkalender richteten, am 18. Tag des Mondmonats, der auf den Siriusaufgang folgte. Wenn Wissenschaftler also heute das Datum eines Wagyfestes entdecken, müssen sie erst herausfinden, ob es sich um das „fixe“ oder um das „bewegliche“ Wagyfest handelt. Von Letzterem könnte man dann Rückschlüsse auf den Aufgang des Siriussterns ziehen, von Ersterem nicht!

Und immer wieder von vorn

Und als machten es diese unterschiedlichen Kalender nicht schon schwer genug, ein altägyptisches Datum in unsere heutige Zeitrechnung umzurechnen, kommt erschwerend noch hinzu, dass die alten Ägypter noch nicht einmal ihre Jahre „vernünftig“ zählten – jedenfalls sieht es aus unserer heutigen Sicht nicht sehr vernünftig aus. Sie zählten die Jahre nämlich nicht fortlaufend, sondern begannen bei jedem neuen Herrscher wieder von vorn mit: „Jahr 1 des Pharaos XY“. Nun möchte man denken, wir könnten ja heute einfach die Jahre der aufeinanderfolgenden Herrscher zusammenzählen. Aber so einfach ist das nicht.

Das Jahr der Viehzählung, und das danach

Von vielen Königen ist nämlich gar nicht bekannt, wie lange sie regierten. Ihr „letztes Jahr“ ist nicht dokumentiert. Aber selbst, wenn es das wäre, kann man immer noch nicht so einfach sagen, wie lange ein Pharao tatsächlich regierte, denn im Alten Reich gab es eine Art „Doppelzählung“ der Jahre. Man zählte zunächst das „Jahr 1 der Viehzählung unter Pharao XY“ und das Folgejahr nannte man „Jahr 1 NACH der Viehzählung unter Pharao XY“. Danach kam dann erst das Jahr 2 der Viehzählung (einleuchtender wäre die Bezeichnung „Jahr der 2. Viehzählung“), denn diese Zählungen fanden zumeist alle zwei Jahre statt. Daher dachte man in der Vergangenheit, dass man die bezifferten Regierungsjahre der Pharaonen des Alten Reiches einfach immer verdoppeln müsse, um auf die tatsächliche Dauer ihrer Regentschaft zu kommen. Wenn bspw. für Pharao Pepi II. ein 33. Regierungsjahr dokumentiert ist, dann müsse er wohl mind. 66 Jahre lang an der Macht gewesen sein, meinte mancher Historiker.

Es gibt aber viel mehr dokumentierte „Jahre der Zählung“ als „Jahre nach der Zählung“, weiß man inzwischen. Ist das Zufall oder woran liegt das? Der Forscher John Nolan entwickelte schon vor Jahren die Theorie, dass ein „Jahr NACH der Zählung“ immer nur nach Jahren mit 13 Mondmonaten gezählt wurde, also nur alle 2-3 Jahre. Die Regierungszeiten der Pharaonen würden dadurch natürlich deutlich kürzer, wenn es keine wirkliche „Doppelzählung“ gab. Aber wie lässt sich das beweisen?

Das Dilemma und die Wiggle-Chronologie

Hört sich kompliziert an? Ist es auch! Wie soll man unter diesen Voraussetzungen ein altägyptisches Datum, z.B. „Tag 5 im 3. Monat der Jahreszeit Achet im Jahr 10 nach der Viehzählung unter der Herrrschaft des Pharaos Pepi I.“ umrechnen in unser heutiges Zeitsystem? Wie soll man ihm eine Jahreszahl geben, z.B. 2075 vor unserer Zeitrechnung?
Das Dilemma besteht darin, dass man verschiedene „Raster“ übereinanderlegen und zur Deckung bringen muss. Da wären das Raster der Siriusaufgänge, das Raster der Mondphasen, das Raster des altägyptischen Kalenders mit seinen drei Jahreszeiten und einem „Jahr 1“ bei jedem neuen Pharao, und das Raster unseres heutigen Kalenders, der die Jahre fortlaufend zählt und Schaltjahre hat. Michael Habicht, einer der Autoren der neuen Studie, nennt die dabei entstandenen Chronologien deshalb etwas flapsig auch „Wiggle-Chronologien“, weil man die Raster so lange hin und her geruckelt habe, bis eine Abfolge entstand, die mit den meisten zu berücksichtigenden Faktoren im Einklang war. Wohlgemerkt: mit den meisten – beileibe nicht mit allen!

Ein Sothisdatum fürs Alte Reich

Aufgang des Siriussterns am Schweizer Morgenhimmel. Foto: Rita Gautschy
Ohne gewisse Fixpunkte wäre die Rasterabgleichung allerdings eine Sisyphosaufgabe. Solche Fixpunkte sind vor allem sogenannte Sothisdaten, das sind die Daten des heliakischen Aufgangs des Siriussterns, deren Gottheit im Griechischen Sothis genannt wurde. Dieses Ereignis war von großer Wichtigkeit für die alten Ägypter, denn nach diesem ersten Erscheinen des Siriussterns dauerte es nicht mehr lange, bis die Nilflut begann. Und von der Nilflut hing für die alten Ägypter alles ab. War sie zu stark, spülte sie den Ackerboden fort. Und war sie zu schwach, verdorrte die Saat auf dem Feld. In beiden Fällen mussten die Ägypter hungern. Die Nilflut wurde daher genauestens vermessen – und der heliakische Aufgang des Siriussterns als ihr Vorbote in manchen Schriften festgehalten.

Leider gab es bisher keine erhaltenen Sothisdaten aus dem Alten Reich. Das älteste vollständige Sothisdatum stammt aus der Zeit der 12. Dynastie im Mittleren Reich und wird Sesostris III zugerechnet. Deswegen gingen die Forscher nun einen anderen Weg und rechneten aus den Daten eines Wagy-Festes, das in Abusir in einem Archiv aus dem Alten Reich gefunden wurde, auf den Siriusaufgang zurück.
Aber dann ist da noch das kürzlich in der archäologischen Sammlung der Uni Zürich entdeckte Salbgefäß aus dem Alten Reich, dessen Inschrift frei übersetzt sagt:

„Salbe für den Schutz des Jahres, hergestellt im 4. Monat des Peret, für das Erscheinen von Sopdet am 1. Tag im 4. Monat des Achet“

Na, wenn das mal kein Sothisdatum ist – und zwar eines aus dem Alten Reich! Wie die Geschichte nun weitergeht, lest ihr im 2. Teil unseres Berichts über diese interessante, aber wie ihr gemerkt habt auch nicht ganz leicht zu verstehende, Forschungsarbeit.

2 Gedanken zu „Neue Chronologie fürs Alte Reich. Teil 1: Siriusstern und Mondkalender“

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