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100 Jahre Nofretete in Deutschland – doch nicht alle feiern mit

Am 6. Dezember dieses Jahres feiert die berühmte Büste der Nofretete den 100. Jahrestag ihrer Entdeckung. Rund um die Welt wird davon berichtet werden. Der Tenor der Berichterstattung wird jedoch nicht nur freudig und positiv sein. Während die Staatlichen Museen zu Berlin den Anlass mit der Sonderausstellung „Im Licht von Amarna“ feiern, wird insbesondere in Ägypten dieser Jahrestag eher von Ärger und Trauer begleitet werden. Auf Ahram Online erschien erst kürzlich wieder ein Artikel, der von Täuschung und Betrug bei der Ausfuhr der Büste vor 100 Jahren berichtet.

Nach damaligem Recht wurden die Funde einer Ausgrabung zu gleichen Teilen zwischen den Ausgräbern und Ägypten geteilt. Wer diese Teilung durchführen durfte und ob Ägypten dabei Anspruch auf besonders einzigartige Stücke hatte, ist in den Quellen umstritten. In diesem Fall teilte wohl Grabungsleiter Ludwig Borchardt die Fundstücke in zwei Hälften ein.
Für den ägyptischen Antikendienst wählte Gustave Lefebvre, Inspektor für Altertümerverwaltung in Assiut, dann diejenige Hälfte aus, die in das Ägyptische Museum in Kairo kommen sollte. Über die Gründe, warum sich Lefebvre so entschied, wie er es tat, ist viel spekuliert worden. Fakt ist, dass er diejenige Hälfte auswählte, die als Prunkstück ein Altarbild aus bemaltem Kalkstein enthielt, auf dem Pharao Echnaton, seine Königin Nofretete und drei ihrer Töchter in einer privaten Szene dargestellt sind. Er wählte nicht die Hälfte mit der Nofretetebüste.

Über die Fundteilung, die am 20. Januar 1913 auf dem Grabungsgelände in Amarna stattfand, wurde ein Protokoll erstellt, das von beiden Seiten unterschrieben wurde. Dieses Teilungsprotokoll ist Deutschlands Rechtfertigung für die legale Ausführung der Nofretetebüste. Alles geschah nach damaligem Recht; Deutschland ist somit der rechtmäßige Besitzer dieses einmaligen Stückes – sagt Deutschland.
Ägypten sieht das ganz anders: Borchardt soll getrickst und getäuscht haben, damit der ägyptische Antikendienst die Schönheit und den wahren Wert der Büste nicht erkannte. Das stärkste Indiz für diese These ist die Tatsache, dass die Büste im Teilungsprotokoll mit „bemalte Gipsbüste einer Prinzessin“ geführt wird. Die Oberfläche der Büste ist zwar tatsächlich aus Gips oder Stuck, der Kern der Büste ist aber aus dem hochwertigeren Kalkstein, und Borchardt wusste das!
Ebenfalls war ihm von Anfang an klar, dass dies eine Abbildung von Nofretete und nicht irgendeiner Prinzessin war. In sein Grabungstagebuch schrieb er am 6. Dezember 1912: „Lebensgroße bemalte Büste der Königin, 47 cm hoch“. Und auch in die Fundliste wurde als Nummer 748 eine „bemalte Büste der Königin“ eingetragen. Im Teilungsprotokoll standen dennoch die Worte „Gipsbüste“ und „Prinzessin“.

In einem Erinnerungsbericht an das Treffen Borchardts und Lefebvres zur Teilung der Funde vermerkt 1924, also 11 Jahre später, ein Sekretär der für die Grabung verantwortlichen Deutschen Orient-Gesellschaft (DOG), dass die Stimmung am Vorabend sehr gedrückt gewesen sei, weil alle vermuteten, dass die Büste nicht der deutschen Seite zugesprochen werden würde. Mit einer Kerze in der Hand seien viele Teilnehmer noch einmal in den Lagerraum gepilgert, um von der Büste Abschied zu nehmen. Borchardt habe dieses Stück aber unbedingt in der deutschen Hälfte haben wollen.

Die Fundteilung

Als guter Gastgeber bot er Lefebvre nach dessen langer Anreise nach Amarna zunächst einmal ein Abendessen an, bei dem man auch dem Wein zusprach – der Inspektor war schließlich Franzose. So gesättigt und „gestärkt“ schauten sich Borchardt und Lefebvre dann zunächst Fotografien der zur Teilung anstehenden Stücke an. Dabei soll das Foto der Nofretetebüste nicht das allerschönste gewesen sein, heißt es im DOG-Bericht. Ebenfalls wird darin angedeutet, dass bzgl. des Materials der Büste wohl nicht die volle Wahrheit gesagt wurde. Der Sekretär spricht augenzwinkernd von einer „Vermogelung des Materials“.
Und als man anschließend in den nur schwach beleuchteten Lagerraum ging, wo Lefebvre die Objekte einzeln begutachten konnte, sollen die Stücke bereits teilweise verpackt in offenen Transportkisten gelegen haben. Allerdings, so betonte die DOG später, habe die Büste an Position 1 der Teilungsliste gestanden und niemand habe Lefebvre daran gehindert, einzelne Stücke aus den Kisten herauszunehmen und genauer zu betrachten.

Borchardt selbst gestand später ein, dass es wohl auch seinem „Verhandlungsgeschick“ zu verdanken sei, dass die Nofretetebüste bei der Teilung der deutschen Seite zugesprochen wurde. Trotzdem hatte er jahrelang Angst, es könne nachträglich Ärger mit dem ägyptischen Antikendienst geben. Daher verhinderte er die öffentliche Ausstellung der Büste mehr als 10 Jahre lang. Erst 1924 wurde die Büste im Berliner Museum ausgestellt. Und es kam, wie Borchardt es befürchtet hatte: Der zu dieser Zeit amtierende Direktor des Antikendienstes, Pierre Lacau, ohnehin den Deutschen nicht sehr zugetan, forderte die unverzügliche Rückgabe der Büste! Angesichts der Tatsache, dass Lacau selbst zugab, dass die Teilung an sich rechtens gewesen sei und er sich lediglich auf moralische Gründe berief, wundert es nicht, dass man seiner Forderung nicht nachkam.

100 Jahre Nofretete-Büste – 90 Jahre Rückgabeforderungen

Bis heute hat sich an den unterschiedlichen Standpunkten nichts geändert: Deutschland ist froh über den Besitz dieses einzigartigen Kunstwerks und glaubt sich im Recht – Ägypten dagegen fühlt sich betrogen um das nach Tutanchamun wohl zweitbekannteste Gesicht seiner ruhmreichen Geschichte. Der unvermeidliche Zahi Hawass, ehemaliger Generalsekretär der ägyptischen Altertümerverwaltung, hatte in seiner Amtszeit immer wieder, zuletzt noch 2011, die Rückgabe der Nofretete (und einer ganzen Reihe anderer Artefakte aus verschiedenen Ländern) gefordert. Seit dem arabischen Frühling hat Hawass nun kein offizielles Amt mehr. Das Ende der Rückgabeforderungen wird das aber sicher nicht sein.

Lief nun wirklich alles rechtlich einwandfrei bei der Fundteilung im Jahr 1913 oder wurde Ägypten doch betrogen? Wie meist, so liegt wohl auch hier die Wahrheit in der Mitte. Kann man es Borchardt vorwerfen, dass er den wahren Wert der Büste verschleierte? Ja, das kann man! Und kann man es Lefebvre vorwerfen, dass er die einzelnen Stücke nur unzureichend in Augenschein nahm und nicht mit der Fundliste abglich? Ja, das muss man sogar! Borchardt war anscheinend ein Schlitzohr, Lefebvre nachlässig. Beides führte dazu, dass die Nofretetebüste Deutschland zugesprochen wurde, wo sie seither der Star des Ägyptischen Museums in Berlin ist und dort jährlich etwa 1 Mio. Menschen anzieht.

100 Jahre Nofretetebüste – 90 Jahre Rückgabeforderungen – und die Büste steht noch immer in Berlin! Muss sich Deutschland also keine Sorgen machen? Doch! Eine inoffizielle Studie international erfahrener Anwälte räumt einem Rückgabeverlangen durchaus Chancen ein. Und das nicht nur wegen fragwürdiger Umstände bei der Fundteilung sondern vielmehr deshalb, weil sich in der Weltgemeinschaft immer mehr die Rechtsauffassung durchsetzt, dass kulturelle Schätze, die in Kolonialzeiten außer Landes gebracht wurden, an die Herkunftsländer zurückzugeben sind. Denn Ägypten hatte beim „Deal“ um die Nofretete nie ein Wort mitzusprechen. Das Land war zu jener Zeit unter englischer Herrschaft, der Antikendienst unter französischer Leitung, die Ausgrabung erfolgte durch eine deutsche Organisation.
Sollte also jemals die ägyptische Seite offiziell und auf Regierungsebene die Rückgabe der Büste fordern, käme Deutschland wohl in die Bredouille. Gebetsmühlenhaft wiederholen deutsche Stellen vom Museumsleiter über den zuständigen Kulturstaatsminister bis hin zum Auswärtigen Amt, dass alle Anfragen der letzten Jahre eben keinen offiziellen Charakter hatten. Und es stimmt: Tatsächlich hat sich die ägyptische Regierung bisher zurückgehalten, wenn Hawass oder andere Archäologen wieder einmal die Rückgabe der Büste forderten. Hosni Mubarak soll die Nofretetebüste anlässlich eines Berlinbesuchs im Jahr 1989 sogar als die beste Botschafterin Ägyptens in Deutschland bezeichnet haben. Aber auch diesen langjährigen und berechenbaren Gesprächspartner hat der arabische Frühling hinweggefegt. Und wie sich die neue, islamisch geprägte Regierung zu diesem Thema stellen wird, muss man noch abwarten. Der derzeitige Antikenminister Mohamed Ibrahim lässt verlauten, es gäbe momentan keine Pläne für eine offizielle Rückgabeforderung. Er betont dafür die guten Beziehungen zwischen Deutschland und Ägypten.

Ausleihe der richtige Schritt?

Vielleicht ist es an der Zeit, dem wiederholt geäußerten Wunsch der ägyptischen Seite nachzukommen, und die Büste zumindest für eine befristete Zeit an Ägypten auszuleihen. Die Mär von der Transportunfähigkeit dürfte im heutigen Zeitalter wohl selbst im Kindergarten skeptische Nachfragen erzeugen, zumal die Büste die Strecke vor 100 Jahren bereits in einer einfachen Holzkiste bereist hat. Und auch in Deutschland ist sie ja bereits mehrfach umgezogen. Dem Britischen Museum in London hat man angeblich einmal angeboten, für eine Ausleihe des Rosetta-Steins anschließend jegliche Besitzansprüche fallen zu lassen und keine weiteren Rückgabeforderungen mehr zu stellen. Vielleicht ein Weg, den ewigen Streit zu beenden? In jedem Fall ein Schritt in die richtige Richtung, nämlich auf die Ägypter zu. Die Eröffnung des Aton-Museums in El-Minia im kommenden Jahr wäre dafür eine denkbar gute Gelegenheit. Natürlich nur dann, wenn sich die Sicherheitslage im Land bis dahin wieder stabilisiert hat. Dann könnte Nofretete zumindest für eine kurze Zeit in ihre Heimat zurückkehren – exakt 100 Jahre, nachdem sie sie mit Ludwig Borchardt verlassen hatte.

 


 

Die Sonderausstellung „Im Licht von Amarna. 100 Jahre Fund der Nofretete“ wird im Neuen Museum Berlin vom 7. Dezember 2012 bis zum 13. April 2013 (Edit: verlängert bis zum 4. August!) zu sehen sein. Dort soll u.a. auch das Thema der Rückgabeforderungen thematisiert werden, wie man auf der Ausstellungshomepage lesen kann. Informationen über Ziele und Inhalte der Ausstellung findet man auch auf der entsprechenden Seite der Staatlichen Museen zu Berlin.

2 Gedanken zu „100 Jahre Nofretete in Deutschland – doch nicht alle feiern mit“

  1. Ich bin der Meinung das die meisten der international ausgestellten Stücke altägyptischer Kultur, darunter auch die Büste der Nofretete, unter meist mehr als dubiosen Umständen außer Landes gebracht, wenn nic
    ht schlicht gestohlen wurden. Wenn ein Land, ein Volk Anrecht auf die Zeugnisse der Wurzeln seiner Geschichte hat dann ist es sicher Ägypten selbst.
    Von daher bin ich ein Befürworter der Rückführung altägyptischer Kunst wenn deren Inbesitznahme nicht einwandfrei als legal und in Übereinstimmung mit geltenden oder gegoltenden ägyptischen Gesetzen geschehen ist. Mag das für die Museen dieser Welt noch so tragisch erscheinen.
    Fraglich allerdings ob in Zeiten höchster Instabilität grade jetzt ein günstiger Zeitpunkt dafür ist.
    Solange Salafisten und andere Extremisten offen damit drohen Weltkulturerbe zu vernichten haben wir nicht nur das Recht sondern meines Erachtens die Pflicht dies zu verhindern.

  2. Ich bin der Meinung, dass das Kunstwerk, sowie viele andere in ihr Ursprungsland zurück gegeben werden sollten. Wir haben selber eine sehr schöne Kunstgeschichte in unserem Land, die noch viele Museen füllen könnte. Es können außerdem auch Repliken hier ausgestellt werden. Ich gehe einfach mal davon aus, dass es bei der Teilung nicht mit rechten Dingen zugegangen ist.

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