Blog

Scans des Warschauer Mumienprojekts enthüllen erste Mumie einer Schwangeren

Bei radiologischen Untersuchungen der antiken Mumien des Nationalmuseums Warschau fanden polnische Wissenschaftler heraus, dass es sich bei der Mumie eines vermeintlichen Priesters in Wirklichkeit um die Mumie einer Frau handelt. Die Besonderheit dieser Entdeckung liegt aber darin, dass die Scans auch gezeigt haben, dass diese Frau schwanger war – ein Novum in der Mumienforschung.

Die Scans waren Teil des Warschauer Mumienprojekts, das alle Menschen- und Tiermumien des Warschauer Nationalmuseums erneut untersuchte. Das spektakuläre Ergebnis der „schwangeren Mumie“ veröffentlichen die Wissenschaftler nun unter der Führung von Wojciech Ejsmond vom „Polish Centre of Mediterranean Archaeology“ (PCMA) in der nächsten Ausgabe des Fachblatts »Journal of Archaeological Science«.

Die Koordinatoren des Warschauer Mumienprojekts mit der »schwangeren Mumie«. Foto: B. Bajerski

Die Geschichte der Mumie

Das Ensemble aus Sarg, bemalter Kartonage und Mumie wurde der Universität Warschau bereits 1826 von einem Gönner namens Jan Wężyk–Rudzki geschenkt, der es auf einer Ägyptenreise gekauft hatte. Angeblich stammte die Mumie aus den königlichen Gräbern von Theben. Dies muss aus heutiger Sicht bezweifelt werden, denn im frühen 19. Jahrhundert waren royale Bestattungen nur im Tal der Könige bekannt und dort gibt es kein einziges Grab aus der griechisch-römischen Zeit. Genau aus dieser Epoche, die mit 332 v.Chr.-395 n.Chr. angegeben wird, müsste aber aufgrund der Dekoration dieser Sarg stammen.

Früheste Abbildung des Sets aus der polnischen Kinderzeitschrift »Przyjaciel dziecka«, 1862, Künstler unbekannt, gemeinfrei.

Wegen der reichen, farbigen Bemalung wurde das Ensemble im 19.Jh. noch als „Mumie einer Dame“ geführt. Erst 100 Jahre nach der Schenkung, also in den 1920er Jahren, ließ die Universität Warschau eine Übersetzung der Inschriften durchführen und war erstaunt, dass der Sarg einem Hor-Djehuti gehörte, der eine Vielzahl an Titeln geführt hatte. Der Sohn eines Padiamonemipet und der Herrin des Hauses, Tanetmin, war nicht nur Schreiber, sondern auch Priester des Horus-Thot, Sänger für den Gott Montu und königlicher Gouverneur der Stadt Petmiten, verrieten die Inschriften. Aufgrund dieser Titel kann die Herkunft des Sarges aus der Gegend des antiken Thebens (heute Luxor) bestätigt werden, allerdings eben nicht eine angeblich royale Bestattung.

Was verraten die Mumienscans?

Lage der Artefakte. Bild: S. Szilke

Die Scans zeigen die sehr gut erhaltene Mumie einer Frau. Die Tote wurde mit vor der Brust überkreuzten Armen bandagiert. Dabei waren der Torso, die Arme und Beine vorher separat in mind. 10 Bandageschichten eingewickelt worden, bevor die Arme in die überkreuzte Position gelegt und der ganze Körper dann nochmals bandagiert wurde. Dazu waren alle noch so kleinen Lücken zwischen Armen, Beinen und Torso mit weiteren Textilien ausgestopft worden, so dass auch nicht die kleinste Luftblase bleiben konnte.

Die Bandagen über dem Brustkorb waren in Form von weiblichen Brüsten geformt worden und es waren sogar kleine Scheiben, vermutlich aus Metall, zwischen die Bandagen platziert worden (Nr. 6), um die Brustwarzen zu imitieren. Außen waren die Bandagen dann mit einer bitumenähnlichen Substanz bestrichen worden, bevor die Mumie mit einem Leichentuch bedeckt worden war, das leider nur zum Teil erhalten ist.

An Nacken und Brust finden sich Spuren von Grabräubern, die anscheinend genau wussten, wo die Mumie wertvollen Schmuck und Amulette zwischen den Leinenbinden trug. Dennoch zeigen die Scans 15 noch vorhandene Artefakte zwischen den Binden. So sind vier ca. 4cm große Amulette auf dem oberen Bauch platziert (Nr. 1-4). Sie stellen vermutlich mumienförmige Statuetten mit Menschen- oder Tierkopf dar, nämlich die „vier Söhne des Horus“: Amset, Hapi, Duamutef und Kebechsenuef, die als Schutzgötter der Eingeweide galten. Ein besonderes Artefakt findet sich über dem Nabel (Nr. 5): eine konische Scheibe, die von von einer textilen Umrandung umgeben ist. So ein „Nabelschmuck“ ist von zwei anderen Mumien aus der ptolemäischen Zeit bekannt, beide aus dem 1.Jh. v.Chr.

Aus welcher Zeit stammt die Mumie?

Nach den nun durchgeführten Scans ist klar, dass Mumie und Sarg nicht zusammengehören. Während der Sarg klar aus der griechisch-römischen Zeit stammt, könnte die Mumie also auch aus einer ganz anderen Epoche stammen, denn findige Antikenhändler haben schon immer leere Särge mit „freien“ Mumien gefüllt, um für ein „komplettes Set“ einen besseren Preis zu erzielen. Eine Radiokarbon-Datierung der Bandagierung würde aufgrund des Bitumenanstrichs keine verlässlichen Werte ergeben. Daher sahen sich die Forscher besonders die Mumifizierungstechnik genauer an. Die Eingeweide waren durch einen Schnitt auf der linken Bauchseite entnommen und später wieder eingesetzt worden. Diese Praxis ist bei nicht-königlichen Bestattungen erst ab der 21. Dynastie (ca. 1050 v.Chr.) bekannt. Ab der Spätzeit (ab ca. 660 v.Chr.) bis zur griechisch-römischen Zeit (ab ca. 320 v.Chr.) war diese Praxis seltener, hier wurden die Eingeweide eher durch den After entfernt. Allerdings ließ die Qualität der Einbalsamierung in dieser Zeit auch stark nach und es gibt keine klare Linie mehr, nach der Mumifizierungen immer durchgeführt wurden.

Scan und wissenschaftliche Auswertung durch das Warschauer Mumienprojekt. Foto: Olek Leydo

Auch die Praxis, Amulette der vier Horussöhne in die Bandagen zu legen, stammt aus dieser Spätzeit ab der 21. Dynastie, in der die Eingeweide in den Körper zurückgelegt wurden. Vorher waren die entfernten Eingeweide im Grab in vier separaten Gefäßen, den sogenannten Kanopen, aufbewahrt worden. Diese wurden ebenfalls von den vier Horussöhnen geschützt, indem die Deckel der Kanopen die Köpfe der Horussöhne darstellten. Auch die hohe Anzahl der weiteren Artefakte, die bei dieser Mumie zwischen den Binden verteilt wurden, spricht für die Spätzeit oder die griechisch-römische Zeit. Bei königlichen Mumien hatte man zu allen Zeiten wertvolle Amulette bei der Mumifizierung mit eingewickelt, bei „bürgerlichen“ Mumien tat man dies erst ab der Spätzeit. Auch die Beschichtung der Binden mit Bitumen spricht für diese Epoche. Zwar hatte man Bitumen schon im Neuen Reich benutzt, in der griechisch-römischen Zeit wurde diese Art des Mumienschutzes aber so richtig populär.

Betrachtet man alle Hinweise, dann ergibt sich für die „schwangere Mumie“ eine ziemlich große mögliche Zeitspanne: vom späten Neuen Reich (11.Jh. v.Chr.) bis zur griechisch-römischen Zeit (1.Jh. v.Chr.). Der Ring über dem Nabel ist aber bislang nur aus der ptolemäischen Epoche bekannt. Die Forscher gehen daher davon aus, dass es sich um eine hochrangige Dame der thebanischen Bevölkerung aus dem 1. vorchristlichen Jahrhundert handelt.

Alter, Geschlecht und Fötus

Erstaunlicherweise war bei einer früheren Röntgenuntersuchung in den 1990er Jahren das aufgrund der Sargbeschriftung zu erwartende männliche Geschlecht bestätigt worden. Die neuen Scans aber zeigen klar Brüste, weibliche Genitalien und eben nicht zuletzt: einen Fötus! Es handelt sich also eindeutig um eine Frau. Die Zähne sind leicht abgenutzt, die 3. Molare (Weisheitszähne) aber ausgebildet. Zusammen mit der Verknöcherung der Schädelplatten schließen die Forscher auf ein Alter von 20-30 Jahren zum Todeszeitpunkt.

Bauchraum der Mumie mit Fötus (hell). Bild: Marcin Jaworski und Marzena Ożarek-Szilke vom Warschauer Mumien Projekt

Der Fötus war bei der Mumifizierung nicht mit den Eingeweiden entfernt, sondern im Uterus belassen worden. Der Kopfumfang des Ungeborenen war bereits 25cm; die Frau muss zum Zeitpunkt ihres Todes daher wohl in der 26.-30. Schwangerschaftswoche gewesen sein. Der Fötus liegt in einer üblichen Embryonalposition: zusammengekauert, die Hände vorm Gesicht, die Beine überkreuzt und angezogen. Warum dieser Fötus nicht herausgenommen und separat einbalsamiert wurde, wie dies von anderen Mumifizierungen durchaus bekannt ist, können die Forscher nicht erklären. Einen so jungen und kleinen Fötus aus dem Uterus zu entfernen, wäre aufgrund der Dicke und Härte der Uteruswand vielleicht nicht ohne Beschädigung der Körper des Kindes oder der Mutter möglich gewesen, mutmaßt Dr. Katarzyna Jaroszewska, ein Mitglied des Projektteams. Aber vielleicht hatte das Kind auch noch keinen Namen erhalten, ohne den ein Weiterleben im Jenseits nicht möglich gewesen wäre, rätseln die Forscher weiter. In diesem Fall hätte der Fötus nur im Bauch seiner Mutter das Jenseits erreichen können.

Es bleiben viele Fragen

Dieser erstmalige Fund einer einbalsamierten, schwangeren Frau, deren Körper und Fötus so gut erhalten sind, eröffnet viele Forschungsansätze in Bezug auf Schwangerschaft in der Antike oder der Entwicklung von Ungeborenen im Alten Ägypten. Ebenso stellen sich religiöse und bestattungstechnische Fragen: Warum beließ man den Fötus im Mutterleib? Und konnte ein Ungeborenes überhaupt ins Jenseits übergehen? Und daneben stellen sich auch ganz moderne Fragen: Wieviele andere Mumien „passen“ eigentlich gar nicht zu den Särgen, in denen sie liegen? Sollten unsere Museen nicht alle Mumien erneut scannen, wenn der letzte Scan schon viele Jahre her ist? Immerhin haben sich die technischen Möglichkeiten erheblich verbessert. Auch diese Mumie im Warschauer Museum hatte man nach den Scans vor 25 Jahren noch für einen Mann gehalten. Die heutige Technik dagegen zeigt: Es ist eine Frau – sogar eine schwangere!

Die Kritik von Zahi Hawass, der sich umgehend nach Bekanntwerden dieser wissenschaftlichen Arbeit mit dem Hinweis zu Wort meldete, das dies keineswegs die erste Mumie einer Schwangeren sei, weil er bereits 2010 im Dorf der Pyramidenarbeiter das Skelett einer kleinwüchsigen Schwangeren gefunden habe, lässt Wojciech Ejsmond, der Leiter dieses Scanprojekts, nicht gelten. Hawass habe hier die Begriffe Mumie und Skelett gleichgesetzt. An dem damals gefundenen Skelett waren keine Einbalsamierungsspuren entdeckt worden und auch kein getrocknetes Weichteilgewebe. Es habe sich damals also gar nicht um eine Mumie, sondern eben um ein Skelett gehandelt.

Das Fazit dieser neuen Untersuchung ist: Die schwangere Tote im Sarg dieses thebanischen Priesters wurde 20-30 Jahre alt. Sie muss zur Elite ihrer Gesellschaft gehört haben, da ihre Mumifizierung sehr sorgfältig und hochwertig ausgeführt wurde und viele Bestattungsbeigaben in die Bandagen gewickelt wurden. Wie viele genau, kann keiner sagen, denn die Mumie wurde beraubt. Dennoch sind noch bis zu 15 eingewickelte Artefakte erhalten, von denen einige auf die frühe griechisch-römische Epoche hindeuten.
Der Sarg stammt sicher aus der thebanischen Nekropole, wo es auch zu griechisch-römischer Zeit verschiedene Areale für Begräbnisse gab, z.B. beim Totentempel des Amenhotep, Sohn des Hapu. Ob die „schwangere Mumie“ dagegen auch aus Theben stammt, kann aufgrund der Geschäftstüchtigkeit der ägyptischen Antikenhändler des 19. Jh. leider nicht mit Sicherheit gesagt werden.

1 Gedanke zu „Scans des Warschauer Mumienprojekts enthüllen erste Mumie einer Schwangeren“

  1. Oha, haben es die polnischen Kollegen/in gewagt, etwas zu veröffentlichen, ohne „Zahi den Großen“ vorher um Rat zu fragen? Geht ja wohl gar nicht…

Schreibe einen Kommentar