Zu den wenigen positiven Entwicklungen der Coronakrise gehören sicherlich die mittlerweile wöchentlich vom Tourismus- und Antikenministerium Ägyptens veröffentlichten virtuellen Rundgänge. Nun ist mal wieder ein schönes Grab aus dem Alten Reich dabei, nämlich die Mastaba des Ti in Sakkara, die zu den bekanntesten Sakkara-Gräbern gehört und besonders für ihre Darstellungen der Landwirtschaft und des täglichen Lebens berühmt ist. Die große Grabanlage war in den 1860er Jahren von dem bekannten französischen Ägyptologen Auguste Mariette entdeckt worden.
Ti war ein hoher Beamter der 5. Dynastie, der sich u.a. um die Pyramiden und Sonnenheiligtümer mehrerer Pharaonen dieser Zeit kümmerte. Dass er sich in Sakkara, der Nekropole der damaligen Hauptstadt Memphis, eine so große Grabanlage bauen durfte, spricht für die herausgehobene Stellung, die er am Hofe bekleidete. Unter seinen vielen Titeln waren, neben so bekannten Titeln wie »Einziger Freund des Königs«, auch einige eher seltene, wie »Schreiber des Dokumentenkastens des Königs«, »Oberster der königlichen Friseure« oder »Aufseher aller königlichen Mahlzeiten«.
Wer Lust auf ein paar Erklärungen hat zu dem, was es im Grab zu sehen gibt, der kann hier unter dem Link weiterlesen. Wer das Grab lieber auf eigene Faust erkunden möchte, kann hier abbrechen und direkt über den folgenden Link den Rundgang starten.
https://my.matterport.com/show/?m=yc1fJfrKnBP
Der virtuelle Rundgang beginnt überraschend nicht am Eingang, sondern im hintersten Raum, der Grabkapelle, direkt vor einem Fenster zu einem sogenannten Serdab, einem vermauerten Raum, aus dem uns eine Ka-Statue des Grabherrn anblickt. Die Statue hier im Grab ist eine Kopie; das wunderschöne Original ist im Ägyptischen Museum Kairo zu bewundern. Das Fenster sollte es dem Ka des Verstorbenen ermöglichen, an den Kulthandlungen teilzuhaben, die in der Kapelle stattfanden.
Die Grabkapelle
Auch wenn wir das Grab nun quasi von hinten her erkunden, schauen wir uns nun hier in der Grabkapelle um und gehen dann sozusagen „rückwärts“ zum Grabeingang zurück. Blickt man vom „Startort“ aus nach rechts, sieht man in dieser Wand noch zwei weitere Fenster zum Serdab, hinter denen einmal weitere Statuen standen. Schaut man nach links, guckt man an der Ostwand auf mehrere Szenen des Schiffsbaus auf einer Werft. Und dreht man sich um, erblickt man auf den zwei Pfeilern dieses Raumes an jeder Seite senkrecht geschriebene Hieroglyphen. Wenn man dort näher herangeht, sieht man unten jeweils eine Sitzfigur des Grabherrn und darüber seinen Namen: Ti – geschrieben mit einer Seilschlinge mit zwei Ösen für „T“ und darunter zwei Federn für den Laut „I“.
In der Westwand der Grabkapelle finden sich zwei fast symmetrische Scheintüren mit den für diese Zeit üblichen Formeln. Leider sind die Inschriften und Reliefs dazwischen farblich nicht mehr so gut erhalten, wie einige andere Wände dieses Grabes.
Auf der Nordwand dieses Raumes findet sich eine der berühmtesten Szenen des Grabes: die Bootsfahrt in das Papyrusdickicht. Man findet sie links neben dem Ausgang des Raumes bei der großen Figur. Sie stellt Ti dar, wie er in einem Boot auf dem fischreichen Wasser fährt. Im Boot vor ihm fahren Männer mit erhobenen Speeren, die Nilpferde jagen; das vorderste Nilpferd dreht sich um und brüllt die Männer an, die es bereits an Seilen gefesselt haben, die der vorderste Jäger in seiner linken Hand hält. Leider war bei diesen Aufnahmen die Beleuchtung der Wände nicht sonderlich gut, so dass die Details und auch die Farben – das Blau des Wassers und das Grün und Gelb des Papyrus – hier gar nicht richtig zur Geltung kommen, was sehr schade ist.
Links neben dieser Szene sieht man übrigens eine Viehherde, die durch einen tiefen Fluss getrieben wird. Zwei Boote mit je drei Männern begleiten die Tiere. Wie gefährlich das war, zeigen die beiden Krokodile, die im Wasser auf eine gute Mahlzeit warten. Weitere Szenen des Viehtreibens – durch Wasser und an Land – sind über der Tür dargestellt, durch die man Raum nun verlassen kann.
Der Korridor, Teil 1
Wenn man den Raum verlässt, gelangt man in einen Korridor, von dem links ein weiterer Raum abgeht, der wohl ein Lagerraum war. Links, rechts und über dem Eingang zu diesem Lagerraum finden sich Abbildungen von Segelschiffen, mit denen Ti wohl dienstliche Reisen unternommen hatte.
Auf der rechten Korridorwand sieht man im unteren Register von links nach rechts Szenen des Schlachtens und Zerlegens von Wildtieren. Interessant ist, dass jede Szene mit dem Schärfen der Messer beginnt; das scheint eine besonders wichtige Aufgabe gewesen zu sein. Im Register darüber ist der Transport der Statuen des Grabherrn auf Schlitten in das Grab dargestellt: Mehrere Männer ziehen am Seil, während ein Arbeiter vor dem Schlitten Wasser ausgießt.
Bevor wir in den Seitenraum gehen, drehen wir uns noch einmal um und schauen uns die Wand über der Tür zur Kapelle an. In den beiden unteren Registern sieht man jeweils fünf Tänzerinnen mit erhobenen Armen und rechts daneben drei Frauen, die dazu in die Hände klatschen und singen. Hier soll es sich um Damen aus Tis Harem handeln, sagen die Inschriften. Darüber sind die Musiker dargestellt: Harfen- und Flötenspieler. Ganz oben – durch das helle Licht kaum zu erkennen – sitzt Ti auf einem Stuhl und schaut sich zusammen mit seiner vor ihm knieenden Frau das Spektakel an.
Die Seitenkammer
Im kleinen, seitlichen Lagerraum sind viele Szenen und besonders die rote Farbe noch sehr schön erhalten. Ein Haufen Träger bringen auf den seitlichen Wänden die benötigten Zutaten für die hinten dargestellten handwerklichen Szenen. Ganz vorn auf der linken und rechten Seitenwand findet sich oben die große Darstellung von Ti, hinter ihm kniend seine Frau Neferhetepes, die ihn zärtlich am Bein hält, und dahinter steht jeweils einer seiner Söhne. Auf der hinteren Stirnwand sind dann Szenen des Brotbackens, Bierbrauens und Töpferns dargestellt.
Der Korridor, Teil 2
Im nächsten Abschnitt des Korridors, Richtung Ausgang, findet sich auf der linken Seite eine weitere Scheintür. Sie ist für die Frau des Ti gedacht, Neferhetepes, deren Grabkammer tatsächlich in dieser Richtung (aber außerhalb dieses Grabes) liegt. So konnte man sich auch im Jenseits gegenseitig besuchen. Unten ist Neferhetepes rechts und links je zweimal hintereinander stehend abgebildet; ihr Name wird von den 5 Hieroglyphen über ihrem Kopf gebildet. In der Mitte dazwischen sind noch zwei kleinere Abbildungen von ihr. Wer Lust hat, kann auch hier ihren Namen suchen, der diesmal senkrecht geschrieben ist. Oben mittig über der Tür hat ihr Name noch einen Zusatz, der besagt, dass sie eine »Bekannte des Königs« war.
Ansonsten werden in diesem Korridorteil links und rechts Opfergaben ins Grab getragen.
Säulenhof und Grabkammer
Wenn man aus dem Korridor heraus tritt, sieht man links an der Wand noch eine Scheintür. Diese ist für Tis ältesten Sohn Demedj. Danach landet man in einer großen, lichtdurchfluteten Halle mit 12 Säulen. Die Darstellungen an den Wänden dieses Hofes sind schlecht erhalten und insbesondere bei dieser Beleuchtung kaum zu erkennen. In der Mitte des Pfeilerhofes befindet sich im Boden der Abgang zu der unterirdischen Grabkammer des Ti. Dorthin kann man in dieser Präsentation nicht selbst heruntergehen, sondern muss sich ein 360°-Symbol suchen, über das man dann wie von Zauberhand in die Grabkammer gelangt. In Wirklichkeit ist dieser Weg viel beschwerlicher, weil man fast kriechen muss – so niedrig ist die Decke des Gangs (siehe unser Foto). In der Grabkammer gibt es dann außer einem leeren Sarkophag auch nicht viel zu sehen. Wer also diese virtuelle Möglichkeit genutzt hat, kann sich in Sakkara diesen Weg und die Grabkammer ersparen.
Mit einem anderen 360°-Symbol innerhalb der Grabkammer kann man sich dann noch aus dem Grab „herausbeamen“ und sich vor dem Eingang, einem von zwei Säulen getragenen kleinen Portikus, umsehen.
Für den interessierten Touristen ist diese Art der Besichtigung nur die zweitbeste Lösung – aber in Coronazeiten sind wir dafür natürlich sehr dankbar. Dass das Tourismus- und Antikenministerium Ägyptens damit aber natürlich auch Lust auf neue Reisen machen will, ist klar. Ein viel wichtigerer Nebeneffekt ist m.E. aber, dass nun auch die eigene Bevölkerung eine kostenlose Möglichkeit hat, sich diese tollen Zeugnisse der eigenen Vergangenheit anzusehen. Auch hier könnten das Interesse und das Verständnis für die Notwendigkeit, das Alte zu schützen und zu bewahren, durch diese virtuellen Besichtigungen steigen. Und so haben irgendwie alle etwas davon…
ÜBRIGENS:
Kürzlich war auch ein virtueller Rundgang durch die Tutanchamun-Ausstellung im Ägyptischen Museum Kairo angeboten worden. Leider sind die „Standpunkte“ dort recht weit voneinander entfernt, so dass man viele Ausstellungsstücke nur von einer Seite oder aus der Ferne ansehen kann. Auch die schönste der vier Schutzgöttinnen des Sarkophages (natürlich die Selket! 😉 ) kann man leider gar nicht ansehen. Aber da zukünftig all diese Artefakte ja „nur noch“ im neuen Grand Egyptian Museum ausgestellt sein werden, ist dieser Rundgang als Zeitdokument natürlich Kult. Und jeder, der einmal im Ägyptischen Museum war, erinnert sich sicher voller Freude (oder auch etwas wehmütig) daran!
Ich war binnen 60 Jahren 3 Mal bei Ti. Das sagt ja schon alles.