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Sind so kleine Hände… Wurde Amarna auch von Kindersklaven erbaut?

Amarna – die Stadt, die Pharao Echnaton und seine Frau Nofretete als neue Hauptstadt Ägyptens im 14. Jh.v.Chr. mitten in der Wüste aus dem Boden stampfen ließen. Erbaut, bezogen, wieder verlassen und aufgegeben in nur 15 Jahren. In dieser kurzen Zeit wurde dort aber nicht nur gelebt sondern natürlich auch gestorben. Doch es sind nicht nur die Gräber der Königsfamilie und des Hofstaats, die uns ein Bild dieser Zeit vermitteln; es sind vor allem auch die Gräber der einfachen Leute und der Arbeiter, die von dieser Zeit erzählen. Neueste Ausgrabungen schüren nun einen unglaublichen Verdacht: Wurden Tausende von Kindern als billige und leicht zu ersetzende Arbeitskräfte eingesetzt?

Mary Shepperson, die als selbständige Archäologin für verschiedene Projekte arbeitet, schreibt darüber in der Zeitschrift The Guardian. Shepperson war schon zwischen 2006 und 2013 dabei, als das Amarna Projekt unter Leitung von Barry Kemp die südlich gelegenen Gräber Amarnas (South Tombs Cemetery) untersuchte. Aus den vermutlich einmal 6000 Gräbern dort, die allesamt schweren Plünderungen unterworfen waren, konnten die Überreste von etwa 400 Individuen gefunden und anschließend untersucht werden.

Hüfttief im Grab, Ausgrabungen in den Nordgräbern Amarnas. Foto: Mary Shepperson / m.frdl.Gen. The Amarna Project

Die Untersuchungsergebnisse zeigten ein Bild, wie man es für die ärmere Bevölkerung erwarten konnte: Ein Leben, das geprägt war von schwerer Arbeit, mangelhafter Ernährung, schlechter Gesundheit und frühem Tod. Erwartbar auch die annähernd gleiche Verteilung von männlichen und weiblichen Personen sowie die vergleichsweise hohe Sterblichkeitsrate von Säuglingen und von schwer arbeitenden Erwachsenen, während in der Altersspanne dazwischen, bei Kindern und Jugendlichen, naturgemäß eine geringere Todesrate vermerkt wurde.

Ein Friedhof voller Kinder und Teenager

Ganz anders dagegen die ersten Ergebnisse von 105 Skeletten aus einem nördlichen Gräberfeld Amarnas (North Tombs Cemetery), das in einem Wadi hinter einer Gruppe von Beamtengräbern liegt. Auf diesem Arbeiterfriedhof waren erstmals im Jahr 2015 Ausgrabungen vorgenommen worden und diese Funde waren kürzlich von Dr. Gretchen Dabbs von der Southern Illinois Universität untersucht worden. Von diesen 105 Personen waren 90% im Alter zwischen 7 und 25 Jahren gestorben; die meisten davon waren nicht einmal 15 Jahre alt geworden. Und es handelt sich bei diesen Nordgräbern nicht um einen Friedhof speziell für Kinder, sondern um eine ganz normale Begräbnisstätte für alle Altersklassen.

Schon bei den ersten Funden auf diesem Nordfriedhof war den Archäologen klar, dass es sich bei diesen Gräbern um ganz einfache Bestattungen handelte. Es gab fast keine Grabbeigaben und die Körper waren einfach nur in grobe Matten gehüllt worden. In 43% aller Gräber fanden sich Mehrfachbestattungen mit teilweise fünf oder sechs Körpern darin. Und während im Südfriedhof solche Mehrfachgräber meist Familiengräber waren, in denen die Toten nebeneinander lagen, waren es hier Gleichaltrige, die in normalgroßen Gräbern quasi übereinander gestapelt waren.

Zwei jugendliche Skelette in einem Grab übereinandergelegt. Foto: Mary Shepperson / m.frdl.Gen. The Amarna Project

Skelette zeigen Folgen schwerster Arbeit

Im Alter zwischen 7 und 25 sollte es keine hohe Sterberate geben – im Gegenteil! Warum also sind fast alle dieser Nordgräber mit Toten dieser Altersgruppe belegt? Erste Hinweise wurden schnell offensichtlich: Viele Skelette zeigten Verletzungen oder degenerative Abnutzungen. Und tatsächlich belegen die Untersuchungen von Dr. Dabbs nun, dass die Mehrheit der jungen Erwachsenen zwischen 15 und 25 deutlich sichtbare Verletzungen hatte und dass bei 10% bereits verschiedene Formen von Arthrose nachgewiesen werden können. Bei den Unter-15-jährigen zeigten sich sogar bei 16% Wirbelbrüche und andere Verletzungen, die auf schwerste körperliche Arbeit hindeuten. Handelt es sich hier also um eine Arbeiterschaft aus Kindern? Das ist zumindest die offensichtlichste aller Erklärungen, meint Mary Shepperson, zumal der Nordfriedhof vermutlich mehrere tausend Bestattungen umfasst und nahe den Steinbrüchen der Stadt liegt.

Im Leben und im Tod ohne Familie?

Eine weitere Besonderheit ist, dass diese Kinder isoliert und nur miteinander begraben wurden. Familienzusammenhalt war etwas sehr Wichtiges im alten Ägypten: Die Hinterbliebenenen waren nicht nur für eine ordentliche Bestattung der Angehörigen verantwortlich sondern auch für die richtige Grabausstattung, die die Toten für das Weiterleben im Jenseits benötigten. Dass die Leichname hier recht sorglos und ohne Grabbeigaben beigesetzt wurden, spricht doch sehr dafür, dass sie nicht nur getrennt von ihren Eltern leben und arbeiten mussten sondern dass sie für die Bestattung ihren Familien auch nicht zurückgegeben worden waren.

Wer waren diese Kinder und jungen Erwachsenen? Waren es ägyptische Kinder, die ihren Familien als Tribute zum Bau der großen Stadt abgefordert wurden? Oder waren es Kinder von Sklaven, die man ohne Probleme verwenden konnte, wofür man wollte? Oder waren es vielleicht fremdländische Kinder aus einer der Kolonien Ägyptens oder aus einem besiegten Nachbarland? Diese Frage ist momentan noch Gegenstand weiterer Untersuchungen; DNA-Analysen könnten hier Aufklärung bringen.

Dass in Ägypten Sklaven für große Bauprojekte eingesetzt wurden, wird von vielen Ägyptologen bestritten. Mary Shepperson nennt diese Variante aber auch nur als eine der Möglichkeiten für diesen ungewöhnlichen Friedhof. Außerdem galten 12-18-Jährige, die wir heute als Kinder bzw. Nicht-Volljährige betrachten, in Ägypten durchaus nicht mehr als Kinder. Es war völlig normal, dass Mädchen mit 14 Jahren heirateten und Jungen sogar schon früher ins Berufsleben einstiegen, daher war ein Großteil der von Shepperson als „Kinder“ bezeichneten Gruppe für die alten Ägypter bereits Erwachsene.

In jedem Fall aber muss die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, dass Echnaton seine neue Hauptstadt mit Hilfe einer Heerschar von Kindern und Jugendlichen erbauen ließ. Wenn sich dieser Vorwurf durch weitere Untersuchungen tatsächlich erhärten ließe, würfe das doch einen sehr dunklen Schatten auf die einmalige Bauleistung dieser Stadt und ihren Erbauer Echnaton.

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