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7500 Papyri ausgewertet – Wie Kinder im römischen Ägypten lebten

Die Stadt Oxyrhynchos ist eine wahre Goldgrube für Archäologen. Über eintausend Jahre lang deponierten die Einwohner ihre Abfälle auf mehreren Müllgruben außerhalb der Stadt. Was für die Menschen damals Müll war, ist für uns heute Gold wert. Über 7500 literarische Texte, persönliche Briefe und administrative Dokumente lagen in den Deponien der Stadt. Die Dokumente sind größtenteils in einem bemerkenswerten Zustand, da die Stadt nicht direkt am Nil lag und somit von Überschwemmungen verschont blieb. Die Papyri bieten den Forschern genügend Stoff, um mehr über das Leben und die Verwaltung der Stadt herauszufinden.

Forscher der Universität Oslo und Newcastle haben nun die Lebensumstände der Kinder und Jugendlichen näher untersucht. Noch nie zuvor wurde die Kindheit anhand von Papyri so genau beleuchtet.

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Die Stadt Oxyrhynchos war ein bedeutendes Zentrum der Weberei und gehörte mit mehr als 25 000 Einwohner zu den größeren Städten Ägyptens. Die römische Verwaltung des Gaues lag in dieser Stadt, weshalb hier viele administrative Dokumente gefunden wurden.

Jugendorganisationen als Vorbereitung für gute Dienste der Stadt

In der 160km südwestlich von Kairo gelegenen Stadt konnten Jungen mit 14 Jahren in die Jugendorganisation der Stadt eintreten. Im so genannten „Gymnasium“ wurden die jungen Erwachsenen auf ihr späteres Leben vorbereitet. Ihnen wurden verschiedene Werte vermittelt, die im griechisch-römischen Padeia („Erziehung“, „Bildung“) genannt wurden. Sie sollten einmal zu guten Bürgern ihrer Stadt werden und wichtige Kontakte für ihre spätere berufliche Laufbahn knüpfen.

Daher kann das Gymnasium auch nicht als klassische Schule angesehen werden. Der Fokus lag nicht auf lesen und schreiben, sondern darauf, die Werte einer sozialen Gesellschaft der Stadt zu bewahren, wie die Forscher Ville Vuolanto (Universität Oslo) und Dr April Pudsey (Universität Newcastle) nach Einsicht von rund 7500 Papyri herausfanden.

Auch leibliche Ertüchtigungen wie Ringen, Laufen oder der Umgang mit Waffen, wie es an einem Gymnasium eigentlich üblich war, schienen nicht in den Vordergrund gestanden zu haben. Die Jungen konnten zwar ihren Körper mit traditionellen Sport und Athletik stählen, doch Bildung und Kontakte knüpfen waren auf einem „Gymnasium“ im römischen Ägypten wichtiger.

Nur für die Elite

Mitglieder des „Gymnasium“ waren nur frei geborene Jungen aus lokalen ägyptischen, griechischen und römischen Familien. Die Familien mussten gut betucht sein. Ihr Einkommen lag in der „12 Drachmen Steuerklasse“. Wie groß der Anteil der Bevölkerung war, deren Jungen Mitglied eines „Gymnasiums“ sein durften, ist nicht gesichert. Vuolanto schätzt die Anzahl zwischen 10-25 Prozent.

Erst Heirat, dann Erwachsen

Ein Mann namens Ophela beantragt für seinen minderjährigen Sohn Pakhois die Registrierung als Lehrling in den Steuerlisten der Webereien. Das Dokument aus Oxyrhynchos ist auf den 11. Juni 70 n. Chr. datiert Foto: Papyrus Collection, University of Oslo Library
Ein Mann namens Ophela beantragt für seinen minderjährigen Sohn Pakhois die Registrierung als Lehrling in den Steuerlisten der Webereien.
Das Dokument aus Oxyrhynchos ist auf den 11. Juni 70 n. Chr. datiert
Foto: Papyrus Collection, University of Oslo Library

Männer wurden nicht als vollwertig erwachsen angesehen, bevor sie nicht in den frühen 20ern heirateten. Ihr Übergang ins Erwachsenenalter starteten die Jungen der wohlhabenden und frei geborenen Familien in dem „Gymnasium“. Jungen aus unteren Schichten fingen noch vor dem Teenageralter an zu arbeiten und könnten eine zwei- bis vierjährige Lehre begonnen haben. Die Forscher fanden über 20 Lehrverträge in Oxyrhynchos, die meisten stammten aus den Webereien vor Ort.

Lehrvertrag mit nur einem Mädchen

Mädchen durften sich nicht der Jugendorganisation anschließen, doch wurden sie in den administrativen Dokumenten oft als Geschwister des Jungen genannt. Dies könnte mit dem Status der Familie oder der Steuerklasse zusammenhängen. Sowohl Mädchen als auch Frauen war es möglich ihren eigenen Besitz zu haben, doch normalerweise hatten sie noch einen männlichen Vormund an der Hand.

Die meisten Mädchen blieben und arbeiteten zu Hause, wo sie alles für ihr späteres Leben lernten. Auch sie heirateten sehr früh, im späten Teenageralter, noch ein wenig früher als die Jungen.

Immerhin wurde ein Lehrvertrag mit einem Mädchen gefunden, doch ihre Lebenssituation war sehr ungewöhnlich, wie Vuolanto betont. Sie war eine Waise und hatte die Schulden ihres verstorbenen Vaters abzubezahlen.

Sklaven konnten in die Lehre gehen

Sogar Kinder von Sklaven hatten die Möglichkeit in die Lehre zu gehen und ihre Verträge waren in der gleichen Art und Weise aufgesetzt wie die von Freigeborenen. Sklaven lebten im Haushalt ihres Besitzers oder ihres Lehrmeisters, während freigeborene Kinder in der Regel bei ihren Eltern lebten. Doch das Leben von Sklavenkindern war auch in Ägypten hart. Dokumente belegen, dass Kinder, die jünger als zwei Jahre waren, von ihren Eltern getrennt und verkauft wurden.

In einem Brief ermutigt ein Mann seinen Bruder, die jüngsten Sklavenkinder zusammen mit ein wenig Wein zu verkaufen, während seine Neffen verwöhnt werden sollten. Er schrieb: „Ich sende dir einige Melonensamen und zwei Bündel alter Kleider, die du mit deinen Kindern teilen kannst.“

Schon leichte Arbeiten für Kinder

Während viele Dokumente über Kinder im Teeangeralter gefunden wurden, tauchen kleinere Kinder dort kaum auf. Daher ist es schwierig etwas über sie zu sagen. Es scheint aber so, dass sie schon im Alter zwischen 7-9 Jahren mit leichter Arbeit begonnen haben. Sie könnten als Ziegenhirte gearbeitet haben oder losgeschickt worden sein, um Holz zu sammeln oder um Tierdung fürs Feuer zu trocken. Möglicherweise lebten wegen der hohen Sterberate eine ganze Reihe von Kindern ohne ihre leiblichen Eltern.

„Es ist wie das Zusammensetzen eines Puzzles“, erklärt Vuolanto im Blog des „Department of Philosophy, Classics, History of Art and Ideas„, Norwegen. Durch die Untersuchung von Papyri, Keramikfragmenten, Spielzeugen und anderen Objekten versuchen die Forscher ein Bild zu formen, wie die Kinder im römischen Ägypten gelebt haben.

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