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Abgetrennte Hände aus Avaris untersucht

Erstmals wurden die abgetrennten Hände mehrerer Personen aus dem alten Ägypten osteologisch untersucht. Dabei stellte sich heraus, dass eine Hand evtl. einer Frau gehörte. Die Hände stammen aus dem im östlichen Nildelta gelegenen Tell el-Dab’a, dem antiken Avaris (auch: Auaris) – Hauptstadt der fremdländischen Herrscher (Hyksos) der 2. Zwischenzeit – und wurden bereits 2011 in der Nähe des dortigen Palastes gefunden (wir berichteten).

Lage von Tell el-Dab’a (Avaris) im Nildelta. © Karte: M. Bietak. Aus: Gresky, J., Bietak, M., Petiti, E. et al. »First osteological evidence of severed hands in Ancient Egypt«. Sci Rep 13, 5239 (2023)

Das Sammeln abgetrennter rechter Hände nach einer Schlacht ist eine aus Reliefs und Malereien bekannte Szene. Diese Praxis diente den altägyptischen Soldaten vermutlich dazu, die Toten zu zählen; es gibt aber auch Darstellungen, in denen die Soldaten diese Hände dem Pharao präsentieren, um anschließend das Ehrengold – meist ein Kragen mit Goldperlen – von ihm zu empfangen.

Im Vorhof eines Palastes aus der Hyksos-Periode (15. Dynastie, 2. Zwischenzeit, 17./16.Jh. v.Chr.) fanden Archäologen 2011 in drei Opfergruben 12 abgetrennte Hände sowie zusätzlich einige einzelne Finger und Fingerglieder. Da die Hände nicht sehr tief im Boden lagen, waren sie witterungsbedingten Einflüssen ausgesetzt, unter denen ihr Zustand durch Erosion, Abblättern und Rissen in der Knochenstruktur gelitten hatte.

Einer der Fundorte von oben gesehen. Aus: Gresky, J., Bietak, M., Petiti, E. et al. »First osteological evidence of severed hands in Ancient Egypt«. Sci Rep 13, 5239 (2023)

Anatomisch gesehen stammen alle Hände und die einzelnen Finger bzw. Fingerglieder immer vom rechten Arm. Bei zusammengenommen 11 ganz und einer fast gänzlich erhaltenen Hand sowie sechs Fingern sind hier also die rechten Hände von mindestens 18 Personen gefunden worden. Acht der elf komplett erhaltenen Hände waren mit der Handfläche nach unten begraben worden, drei anders herum. Bei sechs Händen waren die Finger gespreizt, bei vieren lagen sie dicht beieinander; eine Hand konnte nicht so recht in dieses Schema eingeordnet werden.

Dass die acht mit der Handfläche nach unten positionierten Hände flach liegen und meist gespreizte Finger haben, könnte entweder daran liegen, dass die Hand während des Verwesungsprozesses vom darüber liegenden Boden plattgedrückt wurde, oder aber diese Hände wurden absichtlich so hingelegt; dann vielleicht, um sie möglichst eindrucksvoll und groß wirken zu lassen. Allerdings lässt sich kein Schema finden: Einige Hände lagen einzeln, andere in Gruppen zusammen.

Rekonstruierte Fundlage der Hände, rot = Handfläche nach unten, gelb: Handfläche nach oben. Foto u. Rekonstruktion: J. Gresky

Bei keiner Hand zeigen sich Schnittspuren oder Teile des Unterarms. Das spricht dafür, dass diese Hände sehr sorgfältig und mit anatomischem Wissen abgetrennt wurden. Um die Hände so in die Gruben legen zu können, müssen sie weich und flexibel gewesen sein. Entweder also wurde diese Prozedur vollzogen bevor die Leichenstarre eintrat oder nachdem diese sich wieder aufgelöst hatte. Letzteres halten die Forschenden aufgrund der fehlenden Kampf- oder Schnittspuren für wahrscheinlicher.

Die geschlossenen Epiphysenfugen zeigen, dass es sich um erwachsene Personen handelte, und da es keinerlei Alterserscheinungen an den Knochen gibt, vermutlich um junge Erwachsene. Größe und Robustheit der Hände weisen darauf hin, dass es sich wahrscheinlich um männliche Hände handelt. Aufgrund des starken Verfalls der Knochen konnten leider keine genetischen Analysen gemacht werden, um die Geschlechter exakt festzustellen. Daher wurde eine Vermessungsmethode genommen, bei der die Längen des Zeige- und des Ringingers verglichen werden. Bei Männern ist gewöhnlich der Ringfinger etwas länger als der Zeigefinger. Dies war auch bei allen Händen der Fall, mit einer einzigen Ausnahme. Bei dieser einen Hand, die auch von ihren Proportionen insgesamt etwas kleiner war, schien der Zeigefinger der längere Finger zu sein; allerdings waren hier die einzelnen Fingerglieder nicht ganz komplett. Die Forschenden vermuten dennoch, dass es sich hier um die Hand einer Frau handeln könnte.

Fundorte der Gruben mit den Händen im Palastbereich. Aus: Gresky, J., Bietak, M., Petiti, E. et al. »First osteological evidence of severed hands in Ancient Egypt«. Sci Rep 13, 5239 (2023)

Die drei Gruben, die die Hände enthielten, lagen im Vorhof des Palastes, genau vor dem Thronsaal. In späterer Zeit wurde an dieser Stelle ein kleiner Tempel gebaut, doch zur Zeit der abgeschlagenen Hände war dies ein offener Vorhof. Dort war das, was in die Gruben hineingelegt wurde, weithin sichtbar, was dafür spricht, dass es sich vielleicht um eine öffentliche Veranstaltung handelte, wenn die Hände dort hineingelegt wurden. Das sogenannte Erscheinungsfenster, aus dem heraus die Könige des Neuen Reiches das Ehrengold verteilten, könnte es bei diesem Palast aus der zweiten Zwischenzeit vielleicht auch schon gegeben haben.

Obwohl die Hände keiner Volksgruppe zugewiesen werden können, so ist das Abtrennen der Hände der getöteten Feinde doch ein Brauch, der von den Hyksos in der 2. Zwischenzeit in Ägypten eingeführt wurde, und den die Ägypter danach übernahmen. So ist bereits aus der Zeit des Königs Ahmose, der die Hyksos aus Ägypten wieder vertrieb und somit das Neue Reich einleitete, ein Relief aus Abydos bekannt, in der ein ganzer Haufen abgetrennter Hände zu sehen ist. In den Gräbern und Tempeln der 18.-20. Dynastie ist diese Szene dann häufig zu sehen.

Zählung der abgeschlagenen Hände nach einer Schlacht. Tempel Ramses II. in Abydos, 19. Dynastie, Neues Reich. Foto: selket.de
Abgetrennte Hand in Inschrift. M.frdl.Gen. von William Vivian Davies, Oxford

Der Brauch wurde so populär, dass es ab der frühen 18. Dynastie sogar eine eigene Hieroglyphe für das Wort „abgetrennte Hand“ gab, erstmals festgestellt in einer Inschrift des Marineoffiziers Ahmose, Sohn der Ibana, in El-Kab. Die hier dargestellte Hand ist nämlich nicht die Hieroglyphe D46 aus der Gardinerliste, die als Phonogramm (Lautzeichen) für den Laut „d“ steht oder als Ideogramm (Sinnzeichen) auch für den Begriff „Hand“. Jene schon aus dem Alten Reich bekannte Hieroglyphe wurde nämlich wie ein Fausthandschuh, also ohne einzelne Finger, dargestellt. Die bei Ahmose, Sohn der Ibana erstmals auftauchende Hieroglyphe stellt nun ebenfalls eine Hand dar – diesmal aber mit klar erkennbaren fünf, leicht gespreizten Fingern. Da es ab der 19. Dynastie in der Schreibschrift auch ein Wort für „abgetrennte Hand“ gab, vermuten die Forschenden, dass dieses Wort in der Militärsprache vielleicht schon in der 18. Dynastie existierte und von Ahmose mit dieser Hieroglyphe dargestellt wurde.

Die neue multidisziplinäre Untersuchung der abgetrennten Hände von Avaris deutet darauf hin, dass dies nicht eine Gerichtsstrafe war, die am lebenden Menschen, z.B. wegen Diebstahls, vollzogen wurde, sondern dass es sich hier eher um eine öffentliche Präsentation von Trophäen im Königspalast handelte. Es wurden hier die Hände von einem Dutzend Männern und evtl. einer Frau „präsentiert“. Die Forschenden halten es aufgrund der Fundlage für sehr wahrscheinlich, dass es sich hier um den frühesten archäologischen Beweis für die königliche „Ehrengoldzeremonie“ handelt, die hier direkt vor dem Königspalast stattgefunden hat.

Sämtliche Fotos und Abbildungen (mit Ausnahme des mit selket.de gekennzeichneten Fotos) stammen aus dem Artikel Gresky, J., Bietak, M., Petiti, E. et al. »First osteological evidence of severed hands in Ancient Egypt«. Sci Rep 13, 5239 (2023) , https://doi.org/10.1038/s41598-023-32165-8, und wurden dort unter der Open Access Lizenz CC BY 4.0 veröffentlicht.

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