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Erstaunliche Entdeckung in Deir el-Bahari: Krokodilköpfe in Gräbern des Mittleren Reichs

In zwei Gräbern hoher Beamter des Königshofes von Pharao Mentuhotep II. (ca. 2050 v.Chr., 11. Dyn.) fanden Archäologen des Polnischen Zenrums für Mediterrane Archäologie der Universität Warschau (PCMA UW) Überreste von insgesamt neun Krokodilköpfen. Dieser einzigartige Fund ist äußerst ungewöhnlich, da die Köpfe nicht mumifiziert, sondern einfach in Tücher gewickelt mit in die Gräber gegeben wurden. Eine mögliche Erklärung für diese ungewöhnliche Praxis glauben die Forscher in den Pyramidentexten des Alten Reiches zu finden.

Die sehr ungewöhnliche Entdeckung wurde auf Luxors Westbank, in Deir el-Bahari, nahe dem Terrassentempel der Königin Hatschepsut, im Nordwesten des Asasif-Gräberfeldes gemacht. Hatschepsuts weltberühmter Totentempel wurde ja einst direkt neben dem Totentempel von Mentuhotep II. errichtet, der in seiner 51-jährigen Regierungszeit das Reich in der 11. Dynastie wiedervereint hatte und so das Mittlere Reich begründete. Viele hohe Beamte seines Hofstaates ließen sich in der Nähe ihres erfolgreichen und beliebten Königs bestatten, wodurch in den Bergen rund um seinen Totentempel viele Gräber entstanden.

Die Reihe der Gräber aus dem Mittleren Reich in Deir el-Bahari. Foto selket.de

Nach 90 Jahren liegt der Schutt immer noch „sehr ordentlich“ vor den Gräbern herum

Die polnische Grabungsmission, die unter der Leitung von Dr. Patryk Chudzik seit zehn Jahren in Deir el-Bahari und dem Asasif gräbt, fand die Krokodilknochen im Schutt der Gräber TT-331 (TT = Theban Tombs), das Mentuhoteps langjähriger Kanzler Chety für sich angelegt hatte, und in der Grabkapelle des daneben liegenden Grabs MMA-509a (MMA = Metropolitan Museum of Art), dessen Grabinhaber noch unbekannt ist, der aber ebenfalls einer der höchsten Beamten am Hofe Mentuhoteps II. gewesen sein muss, weil nur diese hier ihre Gräber errichten durften. All diese Gräber aus dem Mittleren Reich, die in einer Reihe auf der rechten Seite des Tales von Deir el-Bahari oberhalb des Hanges in die Felsen gehauen sind, wurden in den 1920er Jahren von einem amerikanischen Team des Metropolitan Museums of Art unter Leitung von Herbert E. Winlock untersucht und ausgeräumt. Den Schutt, den sie dabei aus den Gräbern holten, legten sie meist direkt vor den Gräbern in deren Vorhöfen ab. Diese Vorhöfe lagen auf dem Hang, der zu den Gräbern führte und verliefen daher logischerweise „bergauf“.


Bei der Räumung der Gräber arbeitete Winlock sehr sorgsam. Der Schutt wurde immer auf der rechten Seite des Vorhofs in einer Reihe deponiert. Die ersten Schuttladungen landeten am weitesten oben, solche aus der Mitte weiter hangabwärts und die letzten Schutteimer wurde am Ende der Schuttreihe ausgekippt. Dieser Nordhang des Asasif-Geländes sei ein „sehr ordentliches Gelände, was die archäologische Arbeit angeht“, teilte uns Dr. Chudzik mit.

Der Schutthaufen im Vorhof von TT 311. Foto: P. Chudzik, PCMA UW Asasif Project

Seit etwa 90 Jahren liegt der Schutt dieser Gräber nun also „sehr ordentlich“ in den Vorhöfen der Gräber und wurde dort nicht mehr beachtet – bis nun das polnische Team mit seinen Untersuchungen begann. Die Arbeiten am Schutthaufen von TT 311 sind noch nicht beendet, die am Haufen von MMA 509a haben noch nicht einmal begonnen, aber die gefundenen Krokodilknochen sind so speziell, dass ihre Publikation nun vorzeitig erfolgte. Dr. Chudzik hält es aber durchaus für möglich, dass in der kommenden Grabungssaison noch weitere Knochen gefunden werden.

Was das Fundumfeld im Schutt über die originale Herkunft verrät

Über 90 Knochenteile von Krokodilen wurden im Schutthaufen von TT 311 und in der Grabkapelle von MMA 509a gefunden, darunter 13 Teile der Schädel, 14 Kieferfragmente, 47 Zähne und 17 sogenannte Osteoderme; das sind Platten aus Haut und Knochen, die bei den Krokodilen in der Lederhaut liegen und sozusagen ihren Hautpanzer bilden. Dass diese „Hautknochen“ gefunden wurden, legt nahe, dass an den Krokodilköpfen noch ein Teil der Rückenhaut war. Beide Fundstätten und das Umfeld, in dem die Knochen gefunden wurden, zeigen, dass die Krokodilköpfe ursprünglich in den Grabkammern der beiden Gräber lagen und also Grabbeigaben waren. Wenn die überwiegenden Teile in einem bestimmten Teil des Schutts Holzmodelle sind, Teile eines Sarkophags, Tongefäße, Teile von Bögen und Pfeilen und anderen Artefakten, die im Mittleren Reich als Grabbeigaben benutzt wurden, dann weiß man, dass dieser Teil des Schutts aus der Grabkammer stammt, schrieb uns Dr. Chudzik. Und genau so war es an beiden Fundstellen, an denen die polnischen Archäologen die Krokodilknochen fanden.

Fragmente von Krokodilkiefern. Fotos: M. Jawornicki u. U. Iwaszczuk, PCMA UW Asasif Project

Anhand der Kieferknochen konnten die Forscher die Größe der Krokodile bestimmen. Einige von ihnen waren nur 2m lang, andere dagegen 3-4 m groß. Somit waren sowohl die Köpfe von Jungtieren als auch von ausgewachsenenen Tieren dabei. Auch die insgesamt 47 Zähne, zwischen 1,4 und 6 cm lang, bestätigen diesen Befund.

Heilige Tiere wurden oft mumifiziert und bestattet

Krokodilmumien im Museum in Kom Ombo. Bild: selket.de

Nun sind Krokodilbestattungen im alten Ägypten nicht unbekannt. Viele Tiere galten als Verkörperung eines Gottes oder einer Göttin und wurden daher mumifiziert und in eigenen Gräbern oder Katakomben begraben. Darunter waren z.B. Katzen, Ibisse, Stiere, Falken – und eben auch das Krokodil, das als Verkörperung des Gottes Sobek galt. Aber bei diesen Bestattungen „heiliger Tiere“ wurde stets das ganze Tier mumifiziert und bandagiert und dann in speziellen, eigenen Gräbern bestattet. Bei diesem Fund handelt es sich aber um Privatgräber, und es wurden eben auch nur die Köpfe der Krokodile mit etwas Rückenhaut daran mit ins Grab gegeben; und diese Teile waren nicht mumifiziert worden, sondern waren einfach in Leinentücher gewickelt und somit sicher nicht für die Ewigkeit gedacht.

Es hat bisher keine vergleichbaren Funde gegeben

Mit der Einordnung dieses Fundes tun sich die polnischen Archäologen um Dr. Patryk Chudzik auch deswegen schwer, weil es kaum andere dokumentierte Funde von Krokodilüberresten in Gräbern gibt. Eigentlich haben die polnischen Forscher nur zwei solcher Funde in der Literatur entdeckt: einen im mittelägyptischen Dair al-Berscha, wo vier Krokodilzähne in einem von der zweiten Zwischenzeit bis zur Ptolemäerzeit mehrfach genutzten Felsengrab gefunden wurden, und den anderen in einem Schachtgrab aus der Spätzeit, das unter dem Totentempel Amenhoteps II. auf Luxors Westbank liegt; hier wurde ein komplettes Krokodilskelett gefunden. Da auch dieses Grab bis in die koptische Zeit wiederbenutzt wurde und ebenfalls beraubt und zerstört ist, lässt sich über beide Funde keine wirklich Aussage zum Zeitpunkt oder dem Zweck dieser ungewöhnlichen Grabbeigaben machen.
Die nun von Patryk Chudzik (PCMA UW) und Urszula Iwaszczuk (IMOC-PAS, Institut für Mediterrane und Orientalische Kulturen der Polnischen Akademie der Wissenschaften) im »Journal of African Archaeology« veröffentlichten Funde sind in jedem Fall die frühesten Funde ihrer Art, da sie aufgrund der Fundlage klar dem Mittleren Reich zugeordnet werden können.

Das Krokodilmuseum in Kom Ombo. Bild: selket.de

Einen Kult um Krokodile gab es im alten Ägypten an vielen Städten entlang des Nils und im Faijum, z.B. in Kom Ombo, dessen Doppeltempel eine der Sehenswürdigkeiten jeder Nilkreuzfahrt ist und wo es heute sogar ein eigenes Krokodilmuseum gibt. Das Krokodil galt als Verkörperung des Fruchtbarkeits- und Nilgottes Sobek, der entweder als Krokodil oder als Mann mit Krokodilkopf dargestellt wurde. In vielen Tempeln wurden heilige Tiere, auch Krokodile, gehalten, die dann nach ihrem Tod einbalsamiert und bestattet wurden. Auch für das Asasif-Grabgelände, wo dieser Fund gemacht wurde, beweisen Schriftquellen das Vorhandensein von Grabkatakomben für Krokodile, genannt „Platz der Sobek-Krokodile“.

Alte Texte geben Aufschluss über den „Sinn“ dieser ungewöhnlichen Grabbeigaben

Im Mittleren Reich verschmolzen die Götter Sobek und Re zu Sobek-Re, der mythologisch aus dem Urgewässer aufgetaucht war, so wie die Sonne sich jeden Tag aus dem Horizont erhebt oder wie ein Krokodil langsam aus dem Wasser auftaucht – Symbole für die Wiederauferstehung. So beschreibt auch Spruch 991 der Sargtexte, dass der Verstorbene zu Sobek wird, „dem Herrn von Kraft und Macht, der Krokodilform angenommen hat“, und weiter: „Ich bin der Gott, der sich im Osten erhebt und im Westen niedergeht und dem der Nil gegeben ist“. In diesem Zusammenhang könnten die Kroko-Köpfe in den Gräbern des Mittleren Reichs also als Amulette angesehen werden, die eine gute Reise durch die Unterwelt und die Wiederauferstehung garantieren sollten.

Ausstellungsstücke im Krokodilmuseum von Kom Ombo. Bild: selket.de

Aber warum wurden nicht gleich ganze Tiere, sondern nur die Köpfe mit ins Grab gegeben? Einen Hinweis glauben die Forscher in den Pyramidentexten des Alten Reichs entdeckt zu haben. Dort tankte der verstorbene König während seiner Reise durch die Unterwelt neue Kraft, indem er eines seiner Körperteile durch das eines Gottes austauschte, was ihm die Kräfte dieses Gottes verlieh. In vielen Sprüchen ist es der Kopf eines Schakals, in manchen werden aber auch andere Körperteile ersetzt. Dass dies auch Teile eines Krokodils sein konnten, zeigt sich erneut in den Sargtexten. In Spruch 258 wird der Verstorbene erneut zu Sobek und hat danach „den Geist eines Krokodils und ist krokodilgesichtig“. Der Verstorbene konnte dadurch die Kräfte Sobeks und des Sonnengottes Re erhalten, wodurch er sicher durch die Gefilde des Jenseits gelangte und eine Garantie auf die Wiedergeburt erhielt.

Die Arbeiten an den Gräbern in Deir el-Bahari gehen in der nächsten Grabungssaison weiter und wir sind gespannt, was noch alles in dem vor 90 Jahren „sehr ordenlich“ abgelegten Schutt gefunden wird.

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