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Verraten Tutanchamuns Grabbeigaben, wer seine Eltern waren?

In der Terra-X-Dokumentation vor drei Wochen fiel uns in einem Interview mit Prof. Tarek Sayed Tawfik von der Universität Kairo zum Thema „Inzest in königlichen Familien“ eine Aussage auf. Tawfik sagte, dass neueste Untersuchungen einer „Tunik“ aus dem Grab des Tutanchamun ergeben hätten, dass Tuts Ehefrau Anchesenamun wahrscheinlich gleichzeitig auch seine Tante war. Bei den Worten „neueste Untersuchungen“ und dem Thema Tutanchamun klingelten natürlich unsere Ohren und wir schrieben Herrn Tawfik an, um Näheres zu erfahren. Aus seiner Antwort erfuhren wir, dass seine Untersuchungsergebnisse bereits Ende 2018 publiziert worden waren.* Er untersuchte darin drei Fundstücke aus dem Grabschatz des Tutanchamun, die andere Namen tragen, als den des Grabinhabers. Leider hat das Conservation Center des Grand Egyptian Museum (GEM) unsere Anfrage nach der Verwendung der Fotos für unseren Bericht unbeantwortet gelassen, so dass wir die Fotos hier nicht zeigen können. Unser Beitrag ist dadurch mehr für „Leser“ als für „Gucker“ geeignet, auch wenn es uns gelungen ist, ein paar „Ersatzbilder“ zu beschaffen.

Ein Umzug mit Vor- und Nachteilen

Der Umzug aller ca. 5000 Artefakte rund um Tutanchamun in das neue Supermuseum GEM auf dem Gizeh-Plateau hat ja nicht bei allen Beteiligten für uneingeschränkte Freude gesorgt. Manch ein Museum gab „seine“ Stücke nur ungern ab und als Besucher kann man sich durchaus fragen, wie viele Einzelstücke aus einer solch riesigen Sammlung man sich überhaupt ansehen und geistig verarbeiten kann. Ein Gutes aber hat die ganze Aktion: Einige Stücke werden nun zum ersten Mal wirklich penibel untersucht – und das fördert erstaunliche Erkenntnisse zutage. Wie bei einer Tunika aus dem Grab des Tutanchamun, die mit Kartuschen verziert ist, die so gar nicht zu seinem Namen passen wollen.

Diese Tunika, eine Art weiter Umhang, wurde von Howard Carter mit der Fundnummer 54f bezeichnet und beschrieben als „fein gearbeitete, gewebte Robe […] zusammengebündelt […] noch nicht ausgebreitet aus Angst vor Beschädigung“. Auch spätere Forscher, wie die britische Historikerin Gillian Vogelsang-Eastwood in den 1990er Jahren, untersuchten die Tunika, die nun in den Katakomben des Ägyptischen Museums in Kairo lag, stets nur in ihrem zusammengebündelten Zustand. Erst 2015, nachdem die Robe ins GEM gebracht worden war, trauten sich die Restauratoren der dortigen Labore, das schon ziemlich zerfallene Kleidungsstück zu entfalten und begannen anschließend eine große Puzzlearbeit.

Kartuschen gehören nicht zu Tutanchamun

Im Jahr 2017 untersuchten der damalige GEM-Generaldirektor Tarek Tawfik zusammen mit Susanna Thomas und Ina Hegenbarth-Reichardt die Reste der Tunika und fanden darauf Schen-Ringe – zu denen u.a. auch die ovalen Umrandungen von Namenskartuschen gehören – und Falkenflügel. Auch Teile von Texten konnten entziffert werden, so z.B. ein Namensteil der Kobra-Göttin Wadjet von Buto, der einen Königstitel begleitete. Dieser Titel war auf beiden Seiten vom Kragen bis zur Brust auf die Tunika geschrieben.
Während die Kartusche mit dem Namen des Königs auf der rechten Seite wohl absichtlich herausgeschnitten und etwas anderes dafür eingesetzt worden war, waren auf der linken Seite der Schen-Ring der Kartusche und auch einige Reste ihres Inhalts noch erhalten. Oben in dieser Kartusche steht eine Sonnenscheibe und rechts darunter ein Anch-Zeichen, links daneben ein weiteres, nicht mehr entzifferbares Zeichen. Die Robe kann damit keinesfalls Tutanchamuns Namen getragen haben, der zwar ein Anch im Namen trägt, aber keine Sonnenscheibe. Und in seinem Thronnamen Neb-Cheperu-Re kommt zwar die Sonnenscheibe (Re) vor, aber kein Anch. Nur: Wessen Name stand dann dort? Und warum wurde die Robe zusammen mit Tutanchamun bestattet?

Antworten könnte eine sehr ähnliche Tunika geben, die im Grab von Thutmose IV. gefunden wurde. Sie trug an dieser Stelle die Namenskartusche von Amenhotep II., dem Vater und Vorgänger von Thutmosis IV. Die Forscher um Prof. Tawfik mutmaßen daher, dass die Tunika aus dem Grab von Tutanchamun ebenfalls den Namen seines Vorgängers (oder seiner Vorgängerin?) getragen haben könnte, weil es zur eigenen Krönung oder zu anderen wichtigen Ereignissen damals vielleicht üblich war, eine Robe mit dem Namen des großen Amtsvorgängers zu tragen. Aber wer war denn Tutanchamuns Vorgänger/in? Da ist sich die Wissenschaft noch uneinig und im Lostopf der möglichen Pharaonen der späten 18. Dynastie liegen noch mehrere Namen, allen voran Semenchkare, der als möglicher Nachfolger Echnatons auf dem Pharaonenthron gilt. Aber auch der Name Neferneferuaton taucht innerhalb einer Kartusche auf mehreren Stücken aus Tutanchamuns Grabschatz auf. Wer sie war, ist allerdings noch heiß umstritten. Nofretete? Meritaton, ihre Tochter? Oder Neferneferuraton tascherit, eine andere Tochter? Und schließlich ist da noch der Thronname Anchcheperure – definitiv ein König zwischen Echnaton und Tutanchamun. Aber diesen Namen gibt es auch in der weiblichen Form: Anchetcheperure. Es scheint, als teilten sich Semenchkare und Neferneferuaton diesen Thronnamen. Gleichzeitig? Nacheinander? Oder waren beide evtl. die gleiche Person?

Neb-Maat-Re oder Anch-Cheperu-Re?

Kartusche mit Neb-Maat-Re auf Memnonkoloss

Aber zunächst zurück zur rudimentär erhaltenen Kartusche der Tunika. Welcher Name passt denn überhaupt zu den beiden noch erkennbaren Hieroglyphen? In diesem Zeitabschnitt enthalten nur zwei Namen des Königsstammbaums eine Sonnenscheibe und ein Anch: der schon erwähnte Thronname Anch-Cheperu-Re, den sowohl Semenchkare als auch Neferneferuaton benutzten, sowie Neb-Maat-Re, der Thronname von Amenhotep III., Echnatons Vater. Hier steckt das Anch in der Hieroglyphe der Maat, die in der Hocke, mit einer Feder im Haar und einem Anch-Zeichen auf den Knien dargestellt werden kann. Diese Kartusche kann man an vielen Stellen in Ägypten antreffen, z.B. auch an den berühmten Memnonkolossen in Luxor.

Für beide Namensvarianten hatten die Forscher einige Probleme beim Anordnen der verschiedenen Hieroglyphen innerhalb der Kartusche. So wird z.B. das Anchzeichen der Maat normalerweise kleiner und etwas nach vorn geneigt dargestellt; das Anch auf der Tunika hingegen steht aufrecht und ist sehr groß. Irina Goryacheva, die Grafikerin im GEM Conservation Center, die zeichnerisch darstellen sollte, wie denn die Kartuschen mit den beiden möglichen Namen ausgesehen haben könnten, musste in der Kartusche mit dem Namen Nebmaatre letztlich das Anchzeichen etwas kleiner darstellen, als es auf der Tunika tatsächlich zu sehen war, damit die Proportionen passten.
Und bei der Kartusche mit dem Namen Anchcheperure befanden die Ägyptologen den verbleibenden Platz unter dem Skarabäus und dem Anch als zu klein, um darin einen der vielen Beinamen unterzubringen, die Neferneferure stets mit ihrem Thronnamen verwendete. Ohne so ein Epitheton, einen Beinamen, ist der Platz für die drei Pluralstriche, die aus dem Cheper ein Cheperu machen, in Goryachevas Zeichnung dieser Kartusche allerdings verschwenderisch groß (s.u. Mitte). Letztlich entschieden sich die Wissenschaftler aber dennoch für diese Lösung – und somit für Semenchkare als Inhaber dieser Kartusche, denn er schrieb seinen Thronnamen Anchcheperure immer alleine, also ohne Epitheton. Neferneferuaton verwendete dagegen immer einen Beinamen, wie z.B. „Anchcheperure, geliebt von Waenre“, was auf ihren Vater Echnaton verweist.

Mögliche Inhalte der Kartusche, nach Zeichnungen von I. Goryacheva (li+mi) bzw. Fl.Petrie (re)

Wir können diese Entscheidung nicht ganz nachvollziehen, denn unserer Meinung nach passt in die untere Hälfte der Kartusche durchaus noch ein Epitheton. Wir haben zum Beweis mal die beiden Versionen von Irina Goryacheva nachgebildet (da wir vom GEM leider keine Freigabe der Originalzeichnungen Goryachevas erhalten haben) und dann rechts daneben eine Version der Kartusche Anchcheperures plus Epitheton erstellt, wie sie Flinders Petrie einmal gezeichnet hat. Prof. Tawfik nannte auf unsere Rückfrage hin vor allem proportionale Gründe für seine Entscheidung. Das Anchzeichen auf der Tunika sei von den Proportionen her einfach zu groß, um darunter noch eines der verschiedenen Epitheta unterzubringen, die zusammen mit Anchcheperure bekannt sind. Wir finden: Unsere Version – „geliebt von Waenre“ – passt ganz gut!

Wer veränderte die Tunika?

Wenn die Forscher aber Recht haben, und die Tunika tatsächlich für Semenchkare angefertigt wurde, dann trug sie ursprünglich auf der linken Seite die Kartusche mit seinem Thronnamen Anchcheperure und auf der rechten Seite die Kartusche mit seinem Geburtsnamen Semenchkare. Aber wer hat dann diese rechte Kartusche herausgeschnitten und ersetzt, aber die linke mit dem Thronnamen Anchcheperure behalten? Die wahrscheinlichste Möglichkeit ist Königin Neferneferuaton, die sich ja ebenfalls Anchcheperure nannte, und die Semenchkare – nach Meinung dieser Forschergruppe – nach dessen Tod auf dem Thron folgte. Die eine Kartusche mit dem Thronnamen behielt sie also, während sie die andere, die den Geburtsnamen Semenchkare enthielt, ersetzte und dort vielleicht ihren eigenen Namen oder einen der Beinamen hineinnähen ließ, die sie immer zusammen mit ihrem Thronnamen verwendete. Leider ist das, was dort einmal hineingenäht wurde, nicht mehr erhalten, aber die Erklärung, wer dies einmal beauftragte und warum, klingt durchaus plausibel.
Nicht minder plausibel ist allerdings die andere Variante, dass die Tunika auf Echnatons Vater zurückgeht und die Kartusche also den Thronnamen Nebmaatre enthielt. Herausgeschnitten wurde dann auf der anderen Seite der dazugehörige Eigenname Amenhotep, was sich leicht erklären ließe. Schließlich war Amun in der Amarnazeit ein verfemter Gott, und Echnaton – Sohn und Nachfolger Amenhoteps III. –, der selbst als Amenhotep geboren worden war und diesen Namen nach seiner Abkehr von Amun ablegte, hätte sicher allen Grund gehabt, den verhassten Namen nachträglich auch aus der Tunika seines Vaters herauszuschneiden. Weil Amunhotep III. aber nicht Tutanchamuns direkter Vorgänger war und vor allem wegen der bereits beschrieben Proportionsproblematik des Anchzeichens auf den Knien der Göttin Maat in der Kartusche, halten die Mitarbeiter dieses Forschungsprojekts es für wahrscheinlicher, dass in dieser Kartusche der Name Anchcheperure stand.

Neferneferuaton – Wer bin ich?

Bleibt die spannende Frage: Wer war denn die mysteriöse Neferneferuaton, die nach Meinung dieser Forschergruppe die direkte Vorgängerin von Tutanchamun war und nach ihrer Krönung den Namen ihres Vorgängers Semenchkare aus dessen Tunika schnitt? Hierzu bringen die Forscher um Prof. Tawfik zwei weitere Fundstücke aus Tutanchamuns Grabschatz ins Spiel, die ebenfalls andere Namen enthalten, als den des jung verstorbenen Grabherrn: ein kleines, beschriftetes Holzkästchen (Carter Nr. 1k) und eine sehr kleine Robe (Carter Nr. 46gg), die mit gravierten Pailletten besetzt war.

ähnliches Holzkästchen aus dem Grab des Tutanchamun. Fotos: Harry Burton, via Universitätsbibliothek Heidelberg, gemeinfrei

Das obige Foto zeigt nicht das von Prof. Tawfik untersuchte Kästchen, sondern ein sehr ähnliches. Es hat ebenfalls einen gewölbten Deckel, zwei gravierte Knöpfe und einen Textstreifen auf dem Deckel. Genau so einen hölzernen Textsteifen hat auch das 2017 von den Forschern untersuchte andere Kästchen, dessen neue Fotos wir leider nicht zeigen dürfen und von dem es anscheinend keine alten Fundfotos gibt. Der Text auf dem untersuchten, anderen Kästchen enthält fünf unterschiedliche Kartuschen und zweimal den Titel eines Pharaos. Die Titel und fünf Namen lauten:
• König von Ober- und Unterägypten, Herr der 2 Länder, Nefercheperure Waenre
• Herr der Kronen, Echnaton
• König von Ober- und Unterägypten, Herr der 2 Länder, Anchcheperure, geliebt von Nefercheperure
• Herr der Kronen, Neferneferuaton, geliebt von Waenre
• Große Königliche Gemahlin, Meritaton

Textstreifen auf dem Holzkästchen aus Tutanchamuns Grab

Wir haben die Zeichnung des langen Textstreifens des untersuchten Holzkästchens aus Platzgründen hier einmal dreigeteilt. Die ersten beiden Kartuschen (linke Reihe) beziehen sich auf den zu diesem Zeitpunkt bereits verstorbenen Echnaton, was durch den Zusatz „dessen Leben lang sei“ hinter der zweiten Kartusche deutlich wird. Diese Formel – Ägyptologen nennen dies einen aus einem Pseudopartizip gebildeten Stativ – wurde in der Amarnazeit gerne anstelle des sonst für Verstorbene gebräuchlicheren „maa cheru“ (= „Gerechtfertigter“ oder „Wahr an Stimme“) verwendet. Sie ist u.a. auch von einem Uschebti Echnatons bekannt. Bis hierhin ist die Inschrift eindeutig; für die folgenden Kartuschen aber gab es in der Vergangenheit unterschiedliche Meinungen unter den Fachleuten, wer tatsächlich hinter diesen Namen stecken könnte. Prof. Tawfik und seine Kolleginnen glauben, dass es sich beim zweiten genannten König, Anchcheperure (mittlere Reihe), wegen des zusätzlichen Beinamens in der Kartusche „geliebt von Nefercheperure“, nicht um König Semenchkare, sondern um Königin Neferneferuaton handelt, die ihren Thronnamen Anchcheperure stets mit einem Epitheton schrieb. Ihr Name Neferneferuaton ist dann auch gleich in der folgenden Kartusche aufgeführt, wieder mit einem Beinamen, diesmal mit Bezug auf den zweiten Namen, den ihr Vater Echnaton führte: „geliebt von Waenre“. Sie dokumentiert mit diesen beiden Namenszusätzen die Nähe zu ihrem Vater und gleichzeitig ihren legitimen Anspruch auf den Thron.

Aber wenn eine Frau hinter diesen Kartuschen steckt, hätte diese Königin dann eine „Große Königliche Gemahlin Meritaton“ (rechte Reihe) gebraucht? Bei den alten Ägyptern, die manchmal recht starr ihren althergebrachten Formeln folgten, wäre das zumindest nicht undenkbar. Ein König musste vielleicht in so einer Inschrift seine Große Königliche Gemahlin nennen, selbst wenn der König weiblich war. Prof. Tawfik glaubt daran aber nicht. Er glaubt, dass mit der letzten Kartusche einfach der dritte Titel und Geburtsname dieser Person, nämlich Meritaton, aufgeführt wird. Sie führte also als Herrscherin auch den Thronnamen Anchcheperure und – wie ihre Mutter Nofretete – den Namen Neferneferuaton, sowie die (männlichen) Titel „König von Ober- und Unterägypten“, „Herr der zwei Länder“, „Herr der Kronen“ und „Große Königliche Gemahlin“.
Das Indiz, das Tawfik hierfür heranzieht, sind die beiden verwendeten Stative. Den ersten haben wir schon erwähnt: die Formel „dessen Leben lang sei“ folgt dem zweiten Namen Echnatons. Aber auch Meritatons Name wird von so einem Stativ gefolgt: „die ewig leben möge“. Wenn hier also Stative hinter den Königsnamen verwendet wurden, warum gibt es einen solchen dann nicht auch bei dem König Anchcheperure Neferneferuaton, der zwischen diesen beiden genannt wird? Weil es sich eben bei diesen beiden Namen nicht um einen anderen König handelt, argumentieren Prof. Tawfik und seine Kolleginnen; alle drei Namen und Titel gehören ihrer Meinung nach zu Meritaton. Und der Stativ steht hier erst nach dem letzten Namen einer genannten Person, wie ja auch weiter vorne bei Echnaton, wo der Stativ nicht nach dem Thronnamen sondern erst nach dem Geburtsnamen in der zweiten Kartusche folgt.

Viele Forscher hatten diesen Textstreifen bisher anders interpretiert, häufig so, dass auf diesem Kästchen zwei Pharaonen (Echnaton und Semenchkare) und eine Große Königliche Gemahlin (Meritaton) verewigt wurden. Der Ansatz, dass hier eine Königin (Meritaton) drei verschiedene Namen für sich aufführt, ist allerdings auch nicht neu – der bekannte Ägyptologe Marc Gabolde hatte ihn schon 1998 ins Spiel gebracht. Tawfik unterstützt nun diese These mit einem weiteren Indiz: dem fehlenden Stativ.

Sind Meritaton und Semenchkare Tuts Eltern?

Was die Forschergruppe übrigens auch glaubt, ist, dass Meritaton mit Semenchkare verheiratet war. Belegen soll dies eine kleine Robe, vielleicht gerade groß genug für ein Kind. Sie stammt ebenfalls aus Tutanchamuns Grabschatz und war mit kleinen Pailletten besetzt. Einige davon sind mit Blütenmustern graviert, andere mit zwei Namenskartuschen – in denen die Namen Meritaton und Anchcheperure (ohne Epitheton) zu lesen sind. Wenn dies eine Kinderrobe für Tutanchamun war, dann standen auf den Pailletten vermutlich die Namen seiner Eltern – und das wären dann eben Meritaton und Semenchkare.

Pailletten einer Robe aus dem Grab Tutanchamuns. Foto: Harry Burton, via Universitätsbibliothek Heidelberg, gemeinfrei

Demnach wäre Tutanchamun also nicht der Sohn von Echnaton und somit ein Bruder von Meritaton, sondern er wäre Meritatons Sohn – und damit Echnatons Enkel. Und seine Ehefrau Anchesenamun wäre dann auch nicht seine Schwester sondern seine Tante gewesen.
Und genau das ist es, was Prof. Tawfik in der Terra-X-Dokumentation sagte: Tutanchamuns Große Königliche Gemahlin Anchesenamun war vermutlich seine Tante, nicht seine Schwester.

Die vielen Artefakte in Tutanchamuns Grab, die andere Namen tragen, bekämen so einen Sinn, wenn nämlich Semenchkare, Anchcheperure, Neferneferuaton und Meritaton alles verschiedene Namen seiner beiden Eltern waren. Wenn das stimmt, wurde vielleicht alles mit Tutanchamun begraben, was zu seiner Familie gehörte oder an sie erinnerte. Vielleicht eine absichtliche Handlung seines Nachfolgers Eje und der Königin Anchesenamun, die noch einige Jahre weiterlebte.

Mit den neuesten DNA-Tests, nach denen Tuts Mutter die sogenannte „Younger Lady“ aus KV 35 sein soll (siehe unser »Mumien-who-is-who« dazu) und diese wiederum eine Tochter von Amenhotep III. und Teje, lässt sich diese Theorie des Teams um Prof. Tawfik nicht vereinbaren, aber auch diese DNA-Tests sind ja nicht unumstritten.

Abschließend hier noch eine Auflistung der Ereignisse dieses mysteriösen Zeitabschnitts vor Tutanchamuns Tod, wie sie die Forschergruppe um Tarek Tawfik vorschlägt:

  • In Jahr 5 der Regierung von Echnaton erhält Nofretete den Titel „Neferneferuaton“.
  • In Jahr 9 zieht die Königsfamilie nach Amarna.
  • Zwischen Jahr 7 und 11 wird die älteste Tochter Meritaton mit ihrem Cousin Semenchkare verheiratet, später haben sie einen Sohn: Tutanchaton.
  • Irgendwann nach Jahr 12 wird Semenchkare zum Nachfolger Echnatons ausersehen. Er erhält den Namen Anchcheperure und seine Frau Meritaton den Namen Neferneferuaton, mit den Beinamen „geliebt von ihrem Vater“ und „hilfreich für ihren Ehemann“.
  • Um das Regierungsjahr 17 herum sterben Echnaton und Nofretete.
  • Anchcheperure Semenchkare regiert von Amarna aus mind. 1 Jahr lang.
  • Meritatons Name verlängert sich zu Anchcheperu Neferneferuaton Meritaton, „geliebt von ihrem Vater“, „hilfreich für ihren Ehemann“.
  • Semenchkare stirbt und Anchcheperu Neferneferuaton Meritaton regiert mind. 3 Jahre von Amarna aus. Sie trägt nun die Epitheta „geliebt von Nefercheperure“, „geliebt von Waenre“ oder einfach „Herrscher“.
  • Irgendwann wird Tutanchaton mit seiner Tante Anchesenpaaton verheiratet.
  • Meritaton stirbt und Tutanchaton wird König.
  • Tutanchaton und Anchesenpaaton verlassen Amarna und ändern etwas später auch ihre Namen in Tutanchamun und Anchesenamun.
  • Zwei gemeinsame Kinder sterben ungeboren und werden nach Tutanchamuns Tod als Föten mit seinem Grab bestattet.

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* Die Forschungsergebnisse wurden veröffentlicht in:
TAREK TAWFIK, SUSANNA THOMAS, INA HEGENBARTH-REICHARDT: New Evidence For Tutanchamun’s Parents – Revelations from the Grand Egyptian Museum, in: Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts Kairo, Bd. 74 (2018), S. 177-192.

5 Gedanken zu „Verraten Tutanchamuns Grabbeigaben, wer seine Eltern waren?“

  1. Vielen Dank für diesen ausführlichen und äußerst informativen Artikel! Zu diesem Thema würde ich gerne ein paar Ausführungen zu einer anderen Grabbeigabe machen, die zwar allen Hobby-Ägyptologen wohlbekannt ist, deren wahre Bedeutung aber stets unterschätzt bzw. überhaupt nicht erkannt wird. Die Rede ist von Königin Tejes Haarlocke und der kleinen goldenen Sitzfigur, in der man allgemein (m.E. zurecht) ein Abbild Amenophis des Dritten sieht. Beide Gegenstände weden durchweg lediglich als (wenn auch sehr persönliche) Familienerbstücke bezeichnet, dabei stellen sie meiner Meinung nach nichts Geringeres als ein weiteres Begräbnis dar.
    Dazu muss man sich nur einmal genauer ansehen, wo und wie sie aufgefunden wurden, nämlich in einem Ensemble von ineinandergeschachtelten Miniatursärgen (Carter Nr. 320), die in Art und Ausführung genau denjenigen entsprechen, die die beiden mumifizierten Totgeburten enthielten. Die in Leinen eingewickelte Figur mit Kette befand sich im zweiten vergoldeten Sarg nebst einem weiteren, viel kleineren Holzarg, der wiederum eine noch kleinere antropomorphe, mit Namen und Titeln Königin Tejes versehene Schactel enthielt. Diese war wie eine Mumie mit Leinenbinden umwickelt und mit Salbölen bestrichen worden, und erst darin fand sich die berühmte Haarlocke. Es kann dahingestellt bleiben, ob diese nun nachweislich von der Elder Lady stammt und ob diese tatsächlich Königin Teje ist. Fest steht, dass hier ein Teil der großen Königin in einer Art und Weise behandelt wurde, die nichts anderes als eine Bestattung darstellen kann, und dasselbe gilt für die Figur ihres königlichen Ehemannes. Jedenfalls glaube ich nicht, dass Tuts Zeitgenossen diese besondere Aufbewahrungsart „just for fun“ wählten. Särge bedeuten immer Bestattung, auch wenn es bei einem derart reichen Grabschatz vorkommen kann, dass man den Wald vor lauter Bäumen (oder das Begräbnis vor lauter Särgen) nicht sieht.
    Weiter gestützt wird diese Annahme durch die Tatsache, dass das Sargensemble direkt neben dem Kasten aufgefunden wurde, in dem sich die mumifizierten Totgeburten befanden, was auf eine enge Beziehung sowie eine ähnliche Bedeutung schließen lässt. Ich bin daher davon überzeugt, dass es sich hier um ein -wenn auch symbolisches- Begräbnis von Teje und Amenophis III handelt. Das wiederum legt den Schluss nahe, dass es sich bei ihnen um Tuts Eltern handelt, denn ich finde den Gedanken, dass man seine Groß- oder sogar Urgoßeltern zusammen mit ihm bestattet haben sollte, und das unter Ausschluss der Eltern, nur schwer nachvollziehbar.
    Nebenbei bemerkt erscheinen die Namen des Herrscherpaares von Malkatta auch auf einigen anderen Grabbeigaben. Und der Name Amenohis des Dritten wird ja auch im Zusammenhang mit der Tunika erwähnt.

  2. War denn bei Tutanchamuns Geburt Amenophis III. noch am Leben? Das sehen nicht viele Ägyptologen so. Er und Teje wären dann auf jeden Fall schon ziemlich alt gewesen (für die damaligen Verhältnisse).
    Und ich finde es auch nicht so ungewöhnlich, seine Großeltern zu verehren. Für einen Pharao, der während seiner Regierungszeit eine Abkehr von der „Revolution“ seiner Vorgänger vollzog, wäre es vielleicht sogar gut erklärbar, wenn er seine Großeltern – die letzten, die noch nach der „richtigen“ Götterordnung lebten – verehrte und diese auch von seinem Nachfolger mit ins Grab gelegt bekam. Vielleicht wollte Tutanchamun (oder auch Eje) die Zeit von Echnaton und Nofretete lieber totschweigen?

  3. Das letztgenannte Argument überzeugt mich nicht wirklich. Diese Art zweckgericheter Propaganda, in der manche Personen besonders hervorgehoben und andere totgeschwiegen wurden, war mehr etwas für die Welt der Lebenden. Was das Grab betrifft, scheint niemand großen Anstoß an der Präsenz gewisser verfemter Namen -Echnaton und Co- genommen zu haben, vermutlich deshalb, weil sie nur offiziell verfemt waren. Deswegen find ich es ja auch so schwer verständlich, warum man, wenn man schon vorverstorbene Familienmitglieder mitbestattet, die Eltern auslassen sollte. Man hätte genauso mit Semenchkare und Meritaten verfahren können, denn wie gesagt geht es hier weniger um Ehrerbietung im politischen Sinn als vielmehr persönliche (blutsverwantschaftliche) Beziehungen.
    Bei der Frage, ob Amenophis III und Teje lange genug lebten bzw. zu alt waren um Tuts Eltern gewesen zu sein, kommt es natürlich vor allem darauf an, ob man eine Mitregentschaft zwischen AIII und Echnaton bejaht. Die Gegenüberstellung der Kartuschen beider Monarchen im Grab des Wesirs Amunhotep ist nur einer in einer Reihe von Hinweisen, dass es eine solche Mitregentschaft, und zwar eine recht lange, tatsächlich gab. Männer können, wie man weiß, selbst in vorgerücktem Alter Kinder zeugen (wobei anzumerken ist, dass das geschätzte Sterbealter von AIII bei ungefähr 50 liegt und somit keinesfalls zu hoch ist). Auch Teje war bei ihrem Tod in Echnatons späten Regierungsjahren noch nicht wirklich alt, höchstens Ende vierzig. Hinzu kommt die Existenz der königlichen Prinzessin Baketaton, die in Dastellungen von Amarna eindeutig mit Teje indentifziert wird und noch weit vom Erwachsenenalter entfernt gewesen sein muss. Natürlich gibt es da Leute, die allerlei gewagte (und nicht fundierte) Theorien aufstellen, nach denen Echnaton der Vater gewesen sein muss und Teje entweder die leibliche Mutter oder eine Ziehmutter als Ersatz für eine von Echnatons verstorbenen Frauen, nur weil sie sich AIII nicht als Vater vorstellen können. Hierzu ist jedoch noch zu sagen, dass es keinerlei sonstige Beispiele einer Königin in der Rolle einer Ziehmutter gibt, denn dafür waren Ammen und Kinderfrauen zuständig. Dasselbe gilt für eine geschlechtliche Mutter-Sohn-Beziehung.

  4. Dieter Schnabel, Gotha

    Da ist sie wieder: die Faszination Tutankhamen. Sie hält mich seit 1964 wach. Waren es nicht nur die ersten Untersuchungen an der Mumie von Prof. Harrison, Liverpool 1968 sondern auch mein erster Besuch im „alten“ Kairoer Museum 1990. Die damalige Direktorin zeigte mir das Kellergeschoss mit dem Hinweis, wir wissen bisher nicht, was sich am Ende des Raumes noch für Überraschungen befinden. Man darf also gespannt sein, was im Zusammenhang mit dem GEM noch alles ans Tageslicht kommt…

  5. Vielen Dank für diesen spannenden und sehr ausführlichen Bericht! Es gibt noch so vieles zu entschlüsseln aus dieser Familiengeschichte der 18. Dynastie.
    Anchesenamun trug meines Wissens auch den Titel Grosse Königliche Gemahlin bereits bevor sie mit Tutanchamun verheiratet wurde. War sie ebenfalls mit Echnaton verheiratet? Wie und wann verschwand sie, die als einzige noch die Blutlinie von Echnaton und Nofretete weiter hätte vererben können. Ihr Grab und ihre Mumie zu finden würde wahrscheinlich einige Rätsel entschlüsseln.

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