In Zusammenarbeit mit der Firma Matterport hat das Tourismus- und Antikenministerium Ägyptens einen neuen virtuellen Rundgang veröffentlicht: den großen Tempel Ramses‘ II. in Abu Simbel. Viele unserer Leser werden diesen Tempel schon besichtigt haben, da er ein Must-See eines Urlaubs in Oberägypten ist und auch an jede Nilkreuzfahrt als fakultativer Ausflug angehängt ist. Aber so ganz alleine vorm und im Tempel wird dann doch kaum einer je gewesen sein. Bei dieser virtuellen Besichtigung kann man sich alle Szenen ganz in Ruhe und ohne störendes internationales Gewusel ansehen.
Ramses II. erbaute den Tempel außerhalb der Grenzen seines Reiches in der nubischen Provinz, um seinen Einfluss und seine Macht auch hier in der Fremde zu dokumentieren. Für seine geliebte Frau Nefertari baute er gleich noch einen kleineren Tempel direkt daneben. Nachdem die Tempel durch den Schweizer Johann Ludwig Burckhardt im Jahr 1813 wiederentdeckt worden waren, hatten sie trotz der damals sicher beschwerlichen Anreise bereits im 19. Jh. viele Besucher angezogen, die sich teilweise auch auf den Wänden und sogar auf den monumentalen Statuen verewigten, so z.B. auch Herzog Maximilian von Bayern im Jahr 1838. Mit Beginn der Flutung des Stausees in den 1960er Jahren wurde der Tempel in einer internationalen Rettungsaktion zersägt und in Blöcken zu seiner heutigen Position transportiert.
Wenn man diese virtuelle Besichtigungstour startet, kann man sich entweder zurücklehnen, die Maus loslassen und sich etwa 12 Minuten lang (!) durch den ganzen Tempel „fahren“ lassen, oder man erkundet den Tempel ganz für sich allein und nimmt über die Kreise auf dem Boden immer den selbst gewählten Standpunkt ein. Die folgende Beschreibung einiger Highlights hält sich an die automatische Kamerafahrt, die man ja jederzeit durch einen Mausklick unterbrechen kann und – wenn man sich an diesem Standpunkt umgesehen hat – durch Klick unten links auf „Play“ wieder fortsetzen kann.
Die beeindruckende, monumentale Fassade
Der Rundgang beginnt mit dem Aufweg zum Tempel, dessen 33m hohe Fassade – immerhin mehr als 10 Stockwerke hoch – bei der Schiffs-Anfahrt über den Nassersee wirklich schon aus mehreren Kilometern Entfernung zu sehen ist.
Während die Kamera auf den Tempel zufährt, lohnt es sich, einmal in der Mitte des Aufweges, z.B. hinter der kleinen Rampe zwischen den Holzgittern, zu stoppen und sich über dem Eingang die Figur mit der Sonnenscheibe über dem Kopf einmal genauer anzusehen (mit dem Mausrad näher heranscrollen). Hier hat Ramses II. seinen Thronnamen User-Maat-Re bildlich in den Fels gemeißelt: In der Mitte steht der falkenköpfige Gott Re-Harachte, neben seinem rechten Bein das schakalköpfige User-Szepter (es verkörpert Stärke) und neben dem linken Bein die Göttin Maat (sie steht für Gerechtigkeit), von der leider nur noch der Kopf mit Feder erhalten ist. Ramses‘ Thronname User-Maat-Re bedeutet also „Stark ist die Gerechtigkeit des Re“.
Bevor man unten links auf das „Play“-Symbol klickt und die Tour fortsetzt, sollte man immer aus der Zoom-Ansicht wieder in die Entfernung zurückscrollen. Zwischen den beiden Seitenwänden lohnt dann ein erneuter Stopp. Hier sind rechts und links Gefangene dargestellt; sie knien mit hinter dem Rücken zusammengebundenen Armen und sind mit einem Seil um den Hals aneinander gefesselt. Während auf der linken Seite ausschließlich nubische Gefangene zu sehen sind – kein Wunder, schließlich stand der Tempel in Nubien – sind auf der rechten Wand verschiedene asiatische Völker dargestellt, was man an den Frisuren und vor allem an den unterschiedlichen Bärten erkennen kann.
In der Halle rechts: Die Schlacht von Kadesch
Beim Betreten der großen Pfeilerhalle sollte man kurz hinter dem Eingang einmal anhalten und den Blick in diese Halle mit seinen acht großen Ramses-Statuen genießen. Ganz hinten sieht man zwei der Sitzfiguren im Allerheiligsten. Sie sind ganze 48m vom Eingang entfernt!
An der Decke – besser zu sehen, wenn man sich einmal ganz schnell an das andere Ende dieser Pfeilerhalle stellt und zurückschaut – die Geiergöttin Nechbet, die mit ihren ausgebreiteten Flügeln die beiden Kartuschen mit Ramses‘ Namen schützt.
Die Tour wird fortgesetzt mit einem Schwenk nach rechts. Kurz bevor man mit dem Kopf an die rechte Wand stößt, lohnt das Anhalten. Auf der gesamten rechten Wand ist die berühmte Schlacht von Kadesch abgebildet, die eigentlich ein Unentschieden war, das von Ramses in Ägypten aber immer wie ein Sieg gefeiert wurde. So auch hier. In diesem ganz rechten Bild dieser Wand ist eine Schlachtszene dargestellt. Pfeile fliegen durch die Luft, Streitwagen fahren kreuz und quer, auf dem Boden liegen erschossene oder überfahrene Soldaten. Aber von links kommt bereits die nächste, geordnete Reihe von ägyptischen Streitwagen angaloppiert, deren Fahrer Pfeil und Bogen bereits im Anschlag haben.
Wenn man auf den Boden guckt, sollte man sich jetzt auf den ersten Kreis links neben der Ecke stellen (draufklicken) und sich dann umdrehen zu der Wand, die zwischen uns und dem Eingang liegt. Dort sieht man oben in einer gewaltigen Szene den Pharao Ramses, wie er mehrere Libyer am Schopf hält. Rechts daneben steht Re-Harachte. Beide sind kurz davor, die Feinde zu töten. Unter dieser Szene sind neun Töchter von Ramses II. dargestellt.
In einer fast spiegelbildlichen Szene sind auf der Wand, die auf der anderen Seite des Eingangs liegt und zu der man ganz am Ende des Rundgangs kommt, Ramses und der Gott Amun dargestellt mit nubischen Feinden; im Register darunter finden sich dort acht Söhne Ramses‘ II.
Aber wir drehen uns nun wieder um und betrachten den Rest der Wand links neben dem Schlachtgetümmel (am besten geht man ein oder zwei Kreise weiter). Im oberen Register bringen Besiegte dem sitzenden König demütig Opfergaben. Im unteren Register werden zwei Hethiter von vier ägyptischen Soldaten mit Stöcken „verhört“.
Die Seitenkammern
Lässt man die Tour weiterlaufen, geht es in die erste von insgesamt acht Seitenkammern, die in antiker Zeit entweder Kult- oder Lagerzwecken dienten. Die Wanddekorationen zeigen meist den König, wie er verschiedenen Gottheiten Opfer darbringt. Interessant in der ersten Kammer ist, dass in der letzten Szene der linken Wand der Gott Horus nur gezeichnet ist, während alle anderen Darstellungen eingemeißelt sind. Es scheint, als wären die Künstler, vielleicht aus Zeitmangel, mit dieser Szene nicht mehr fertig geworden. Dafür spricht auch, dass hier die Stirnwand und die rechte Wand dieser Kammer nicht mehr dekoriert wurden. In den anderen sieben Kammern sind immer alle Wände und z.T. sogar die Decken dekoriert.
Nach der fünften Seitenkammer auf dieser rechten Tempelseite geht es zurück in die große Halle und von dort in die kleinere, zweite Halle.
Die zweite Halle und das Sanktuar
Auf den vier Säulen der zweiten Halle ist Ramses mit jeweils einer Gottheit abgebildet. Auf den beiden Seitenwänden findet man Ramses mit seiner Frau Nefertari vor von Priestern getragenen Prozessionsbarken.
Von der kleinen Querhalle dahinter, die ebenfalls mit Opferszenen geschmückt ist, geht im mittleren Durchgang das Sanktuar ab. Hier sitzt Ramses II. ebenbürtig zwischen drei Göttern, nämlich ganz links Ptah, daneben Amun-Re, dann Ramses und ganz rechts Re-Harachte. In diesem virtuellen Rundgang werden alle vier Figuren von Kunstlicht beleuchtet, aber zweimal im Jahr scheint auch das Sonnenlicht durch die gesamte Mittelachse ins Allerheiligste und beleuchtet zumindest drei der Figuren. Dieses Phänomen wird auch das „Sonnenwunder“ von Abu Simbel genannt und zieht jedes Jahr viele Touristen an (wir berichteten zuletzt 2016 darüber). Bei unserem letzten Besuch schien immerhin das abendliche Tageslicht zumindest auf die beiden mittleren Figuren… 🙂
Bevor es zurück geht in die große Halle, werden rechts noch eine Quer- und zwei Längskammern erkundet, deren Architrave die schutzbringende Geiergöttin zeigen und deren Decken mit einem Hieroglyphenstreifen verziert sind.
Zurück in der großen Halle: die linke Wand
Auf dieser linken Seitenwand der großen Halle (in unserer Laufrichtung also rechts gelegen) ist der Pharao im unteren Register im Kampf gegen Libyer und Nubier gezeigt. Im ersten Bild führt der Pharao nubische Gefangene vor sich her; unter seinem Streitwagen läuft ein zahmer Löwe. In der Szene links daneben tötet er eigenhändig einen libyschen Feind, während er dabei einen weiteren zertrampelt. Und in der ganz linken Szene greift er aus seinem Streitwagen heraus mit Pfeil und Bogen eine Festung an.
Im oberen Register, das aus diesem Gang schwer zu erkennen ist, ist Ramses II. in fünf Szenen vor verschiedenen Göttern dargestellt. Die interessanteste davon ist die zweite von rechts, für die man am besten den Standpunkt zwischen den beiden mittleren Säulen einnimmt. Guckt man jetzt nach rechts oben und zoomt sich nah heran, sieht man – leider bei schlechter Beleuchtung – Ramses kniend, vor dem sitzenden Re-Harachte (Falkenkopf und Sonnenscheibe) unter dem heiligen Isched-Baum, dessen Blätter vom links stehenden Gott Thot (Ibiskopf, Sonnenscheibe) gerade mit Ramses‘ Namen beschriftet werden. Der Isched-Baum hatte in dieser Epoche die Bedeutung eines Lebensbaums.
Am Ende dieses Gangs treffen wir auf die Wand links des Eingangs, wo die anfangs bereits beschriebene Zwillingsszene zu sehen ist, in der Ramses acht nubische Gefangene vor dem Gott Amun (Doppelfederkrone) am Schopf gepackt hält. Im unteren Register sehen dabei acht Söhne des Ramses‘ zu. Danach geht es, nach einem letzten Blick in den Mittelgang, aus dem Tempel rückwärts wieder heraus.
Die beinahe übersehene Kadesch-Stele
An dieser Stelle könnte man die Tour noch einmal schnell unterbrechen und zwischen den Statuen vorwärts gehen. Dieser Mittelgang ist nämlich von der Matterport-Tour sträflich vernachlässigt worden.
Hier findet sich hinten links, zwischen der dritten und vierten Ramses-Satue auf der linken Seite, noch eine Stele, auf der Ramses II. „seinen“ Bericht über die Schlacht von Kadesch niedergeschrieben hat. Natürlich findet sich hier kein Wort darüber, dass er mit seiner zahlenmäßig unterlegenen ägyptischen Armee die hethitischen Truppen einfach nicht besiegen konnte. Auch von einem Unentschieden ist hier nichts zu lesen. Wie auch bei den Bildszenen an den Wänden finden wir auch hier erstklassige Propaganda eines Königs, dessen Armeen angeblich in einer schwierigen Lage waren, als er seinen Gott Amun um Hilfe bat und dieser ihm daraufhin die Kraft verlieh, den Feind fast im Alleingang zu besiegen. So wollte Ramses es in die Geschichte eingehen lassen.
Die Stele ist keine Schönheit und oben scheint ein Teil zu fehlen, aber sie ist ein wichtiges Zeitdokument. Denn sie enthält einen von nur gut einem Dutzend unterschiedlicher antiker Berichte über diese legendäre Schlacht, die wohl mit dafür verantwortlich war, dass Ramses viele Jahre später mit den Hethitern den ersten überlieferten Friedensvertrag der Weltgeschichte schloss – und dessen Kopie hängt heute immerhin bei der UNO in New York.
Wir sind sicher, dass die Firma Matterport bei ihrem Besuch in Abu Simbel auch gleich den kleineren Nefertari-Tempel aufgenommen hat und wir freuen uns schon auf diese virtuelle Tour. Wer wissen will, über welche anderen virtuellen Besichtigungen wir bereits berichtet haben, der kann hier unter dem Text auf das Schlagwort „virtuelle Besichtigung“ klicken.
Danke für den ausführlichen Artikel und den Hinweis auf den virtuellen Rundgang. Als ich damals in Ägypten war, haben wir Abu Simbel nicht besichtigt. So kann ich jetzt den Tempel erleben und dank des Artikels auch die Reliefs verstehen. Vielen Dank!
Gern geschehen! Diese virtuellen Touren sind wirklich eine super Sache, nicht nur in Pandemiezeiten. Sie ermöglichen Menschen, die eine Reise nach Ägypten nicht machen wollen oder können – und im Übrigen auch den Ägyptern selbst – sich einige der beeindruckenden Bauten anzusehen. Und ich bin sicher, sie machen auch Vielen Lust darauf, das Land doch erstmals oder erneut zu bereisen, denn es gibt dort so unfassbar viel zu sehen…