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Falkenmumie enthält deformierten menschlichen Fötus

Im Jahr 1925 spendete ein Arzt in Maidstone, einer Stadt im britischen Kent, dem örtlichen Museum eine kleine Mumie. Aufgrund der Form und der Bemalung der Gips-Kartonage, in welcher die Mumie eingehüllt ist, glaubten alle, dass es sich hierbei um eine Falkenmumie handelte. Die alten Ägypter mumifizierten viele Tiere, auch Falken, die den Gott Horus verkörperten. Schon 2016 hatte man bei einem CT-Scan herausgefunden, dass in der Kartonage aber gar kein Falke, sondern ein kleiner Fötus mit traditionell überkreuzten Armen steckte. Neueste Mikro-CT-Scans haben nun gezeigt: Der Fötus hatte eine seltene Fehlbildung, nämlich Anenzephalie.

Bild: Andrew Nelson, University of Western Ontario

Im Verzeichnis des Maidstone Museums wurde die Mumie geführt als „EA 493 Mumifizierter Falke, Ptolemäische Periode“. Nicht nur das goldfarbene, aufgemalte Falkengesicht hatte zu dieser Einschätzung geführt, auch einige der dargestellten Szenen und Hieroglyphen nehmen Bezug auf den falkenköpfigen Gott Horus. Und die Größe der Mumie sprach eben auch für einen kleinen Greifvogel.

Dass der Irrtum überhaupt entdeckt wurde, kam so: Im Jahr 2016 hatte das Maidstone Museum beschlossen, eine weibliche Mumie aus ihrem Bestand zu scannen. Und wo man schon mal dabei war, schob man auch einige der eigenen Tiermumien mit durch die Röhre, denn gerade das Durchleuchten von Tiermumien brachte ja schon häufiger Unerwartetes zutage, wie bei der Krokodilmumie des Museums im niederländischen Leiden, die statt eines großen, mehrere kleine Krokodile enthielt. Im alten Ägypten gab es eine große Nachfrage nach Tiermumien und nicht jede verkaufte Mumie enthielt auch tatsächlich das versprochene Tier, wie auch das Manchester Museum schon feststellen musste.

Prof. Andrew Nelson. Foto: Western University, Kanada

Die mit einem Klinik-CT durchgeführten Scans von 2016 waren aber nicht genau genug gewesen, um das kleine Skelett des Fötus detailliert untersuchen zu können. Also stellte Andrew Nelson, Bioarchäologe und Professor für Anthropologie an der kanadischen University of Western Ontario, zusammen mit dem Maidstone Museum und der Firma Nikon Metrology einen Mikro-CT-Scan auf die Beine, der Bilder mit einer extrem hohen Auflösung liefert. Dann formte Nelson ein internationales Expertenteam, das die Bilder interpretieren sollte. Darunter waren neben Ägyptologen und Radiologen auch Fachleute für Anatomie, Neonatalogie und Urologie.

Ihre Ergebnisse erzählen eine traurige Geschichte: Vor etwa 2100 Jahren erlitt eine ägyptische Familie die Totgeburt ihres kleinen Sohnes, der viel zu früh und mit deformiertem Kopf auf die Welt gekommen war. Auf den ersten Blick zeigt der Scan dieser Mumie einen kleinen Jungen zwischen der 23. und 28. Schwangerschaftswoche, mit gut entwickelten Armen und Beinen, sogar die Finger und Zehen sind zu sehen. Bei genauerem Hinsehen aber war der obere Teil des Kopfes nicht ausgeformt, die Wirbelbögen hatten sich nicht geschlossen und die Anlagen für die Ohren befanden sich auf der Kopfrückseite. Dazu hatte der Fötus eine Gaumenspalte und eine ebenfalls gespaltene Lippe.

Bild: Andrew Nelson, University of Western Ontario

Anenzephalie ist eine schwere Entwicklungsstörung, bei der sich die Schädeldecke nicht schließt und Teile des Kopfes und des Gehirns nicht richtig ausgebildet werden. Kinder, die mit dieser Entwicklungsstörung geboren werden, leben selbst heute, mit modernster Medizintechnik, nur wenige Stunden, maximal Tage. Nelson und sein Team glauben, dass auch dieser kleine Junge nicht lebensfähig war und wohl schon tot geboren wurde, da der ganze knöcherne Bereich fehlt, in dem sich normalerweise das Gehirn bildet. Es muss eine Tragödie für die Familie gewesen sein, nicht nur das erwartete Kind zu verlieren, sondern dazu auch noch den am Kopf völlig deformierten Babykörper zu sehen.

Ob es aus diesem oder einem anderen Grund mumifiziert wurde, ist unbekannt. Dass Föten überhaupt mumifiziert wurden, war jedenfalls selten. Meist wurden Föten oder Säuglinge in Töpfen unter dem Haus bestattet. Erst letztes Jahr hatten wir über Funde solcher Topfbestattungen in Adaima berichtet. Es gibt daher nur 6-8 bekannte Fälle von mumifizierten Föten, sagt Nelson. Immerhin war unter diesen aber auch ein Fall von Anenzephalie entdeckt worden. Dieser andere Fall war allerdings bereits 1826 vom französischen Zoologen Étienne Geoffroy Saint-Hilaire beschrieben worden, der noch sehr begrenzte Untersuchungsmethoden hatte. Diese Mumie dagegen konnte mit den modernsten Scantechniken durchleuchtet werden.

Es bleiben aber auch an dieser Mumie noch viele Fragen zu klären. Zwar konnte aus den Bemalungen der Kartonage die Epoche eingegrenzt werden auf die späte ptolemäische Zeit, vermutlich das 1.Jh.v.Chr., aber woher genau stammt sie? In welchem Kontext wurde sie bestattet? Warum wurde die Kartonage vogelähnlich angefertigt und bemalt? Und warum hat niemand vorher bemerkt, dass die „Füße“ der Kartonage eher wie menschliche Sandalen aussehen? Und war die Mumifizierung ein Akt der Ehrung des toten Kindes oder des Glaubens an Magie? Föten sprach man nämlich in der Spätzeit des altägyptischen Reiches magische Kräfte zu. So existiert ein Gerichtsantrag aus der römischen Zeit, in dem ein Bauer beklagt, dass ihm Korn gestohlen wurde. Angeblich hatte der Dieb den Dorfleuten einen Fötus entgegen geworfen, der bewirkte, dass sich der Bauer und die Dorfältesten nicht mehr bewegen und den Diebstahl daher nicht verhindern konnten.

Andrew Nelson möchte noch weitere Untersuchungen durchführen und weitere Experten hinzuziehen, um den noch offenen Fragen auf den Grund zu gehen.

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